ohlweg   Hinter mir ertönte ein gedämpftes, unangenehmes Geräusch; ich stellte mit merkwürdiger Sachlichkeit fest, daß es von einem riesenhaften, in Zersetzung übergehenden Leichnam herrührte.

Da mir nicht einmal klar war, wo der Feind ungefähr liegen könnte, begab ich mich zu meinen Leuten und riet ihnen, sich auf das Äußerste gefaßt zu machen. Wir blieben alle wach; ich verbrachte die Nacht mit Paulicke und meinen beiden Gefechtsläufern in einem Fuchsloch von vielleicht einem Kubikmeter Rauminhalt.

Als der Morgen graute, entschleierte sich die fremde Umgebung allmählich den staunenden Augen.

Der Hohlweg erschien nur noch als eine Reihe riesiger, mit Uniformstücken, Waffen und Toten gefüllter Trichter; das umliegende Gelände war, soweit der Blick reichte, völlig von schweren Granaten umgewälzt. Nicht ein einziger armseliger Grashalm zeigte sich dem suchenden Blick. Der zerwühlte Kampfplatz war grauenhaft. Zwischen den lebenden Verteidigern lagen die toten. Beim Ausgraben von Deckungslöchern bemerkten wir, daß sie in Lagen übereinandergeschichtet waren. Eine Kompanie nach der anderen war, dicht gedrängt im Trommelfeuer ausharrend, niedergemäht, dann waren die Leichen durch die von den Geschossen hochgeschleuderten Erdmassen verschüttet worden, und die Ablösung war an den Platz der Gefallenen getreten. Nun war die Reihe an uns.

Der Hohlweg und das Gelände dahinter war mit Deutschen, das Gelände davor mit Engländern bestreut. Aus den Böschungen starrten Arme, Beine und Köpfe; vor unseren Erdlöchern lagen abgerissene Gliedmaßen und Tote, über die man zum Teil, um dem steten Anblick der entstellten Gesichter zu entgehen, Mäntel oder Zeltbahnen geworfen hatte. Trotz der Hitze dachte niemand daran, die Körper mit Erde zu bedecken.  - Ernst Jünger, In Stahlgewittern. Stuttgart 1985 (zuerst 1920)

Hohlweg (2)  In diesem Hohlweg, der einsam und gottverlassen mitten in einer grauenvollen Landschaft Hegt, sieht es sehr seltsam aus. Sein Grund ist wie durch tiefgehende Pflüge aufgebrochen, die kreuz und quer durch die Erde gegangen sind. Es hat eine Zeit gegeben, wo in ihm ein tiefer Trichter an den anderen grenzte, aber immer neue Einschläge von Granaten haben den Boden zuletzt so locker und mürbe gemacht, daß sich kein Trichter mehr in ihm halten kann. Er ist von einem Gewirr von Gegenständen bedeckt, als ob man den Bestand eines Trödelgeschäftes durch die Fenster auf die Straße geschleudert hätte. Blechbüchsen, Tornister, Kochgeschirre, Waffen, Blindgänger, Helme, alles liegt wirr durcheinandergestreut. Zwar habe ich die blitzenden Sachen in der Nacht vergraben lassen, damit sie unsere Stellung im Scheine der Sonne nicht verraten sollen, aber die Granaten haben sie längst wieder ausgewühlt. Sie haben auch die Toten wieder ans Licht gezerrt und treiben mit ihnen ihr Spiel, indem sie sie bald auf diese, bald auf jene Böschung werfen.

In die westliche Böschung sind schmale, halbverschüttete Fuchslöcher gescharrt, und aus ihnen sieht man zuweilen eine Reihe blasser Gesichter lugen, die die scharfe Randlinie des Stahlhelms begrenzt. Diese Gesichter sind sehr sonderbar, fahl, schmutzig, übernächtig; zwei Tage genügten, um jede Spur von Fleisch aus ihnen herauszuschnitzen. Die Backenknochen springen scharf hervor, und unter der Haut deuten sich die Umrisse des Nasenbeines an. Das gibt ihnen eine unangenehme Ähnlichkeit mit Totenköpfen, die noch durch die düsteren, tiefliegenden Augen gesteigert wird.

Die Männer, denen diese Gesichter gehören, sind vollkommen untätig. Sie haben Zeit, jedes einzelne Signal der Flieger aufmerksam in. sich aufzunehmen. Und sie wissen auch, was diese Signale zu bedeuten haben. Sie sind die Verbindungsrufe zu einer Batterie schwerer Geschütze, die fern in einem zerschossenen Dorfe steht. Hier oben ist das Auge und dort hinten der Arm. Und in eintönigem Rhythmus, dessen Schwingung noch nicht die Dauer einer Minute besitzt, fauchen Gruppen von mächtigen Granaten heran, um in einem donnernden Quartett von Einschlägen zu .zerbersten. Manchmal zerschellen sie yor dem Hohlweg, manchmal dahinter, dann liegen sie wieder mitten darin, so daß ihn ein beißender Explosionsdunst erfüllt, und glühende Dampfwolken über die Sohle seiner flachen Mulde treiben. Zuweilen auch setzt ein Treffer hart an seinem westlichen Rande auf, und drückt die Erde in schweren Blöcken herab, die mit der Wucht von Dampfhämmern auf die Insassen der benachbarten Löcher brechen. So geht es den ganzen Tag in einer höllischen Gleichmäßigkeit, und dieses Schauspiel in einem scheinbar toten Gelände wird von keinem anderen Auge gesehen als von dem der Beteiligten.  - Ernst Jünger, Feuer und Blut. Hamburg 1929

Hohlweg (3) Roland ist dem Fremden begegnet, der etwas blasser ist als die anderen Menschen. Es war in dem Hohlweg, der gerade so viel Platz ließ, daß man durchgehen konnte, und auf der Erde lagen diese köstlichen kleinen roten Früchte, die man mit dem Fuß zerquetscht, während man an Frauen denkt. Roland sah den Unbekannten sehr wohl kommen. Er wich ihm nicht aus. Er rempelte ihn an. Der andere sagte nichts, packte das linke Handgelenk Rolands, drückte es und lachte, ohne daß Roland, der vor Schmerz hätte schreien können, daran dachte zu sprechen. Dann ging der Fremde weiter. Er war hellgrau gekleidet, trug einen Strohhut und ausgeschnittene Schuhe; und eine Uhrkette.   - (lib)
 
 

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