Grenze, kimmerische   Aber über diese Nacht möchten wir noch andere Dinge sagen; an erster Stelle etwas Merkwürdiges: Dort gibt es weder Mond noch Sterne noch den funkelnden Durchflug eines Meteors; und trotzdem ist die Nacht nicht dunstig, sondern klar und auf ihre Weise heiter; wodurch bestätigt scheint, daß diese Nacht substantiell ist und nicht akzidentell; und das wird auch durch die eigentümliche Tatsache bewiesen, daß es vergeblich ist, Lampen oder Fackeln anzuzünden, denn sie beleuchten nichts, und es ist, wie wenn man an einer Mauer von kompakter Schwärze ein Licht anzündet.

Da es keine Sternbilder gibt, ist es schwer, sich einigermaßen sicher innerhalb der kimmerischen Region zu bewegen, und nie hat es jemand gewagt, weit jenseits der Grenze vorzudringen; die Grenze ist, wie ihr wißt, messerscharf und genau, weswegen es kein Halbdunkel gibt, und man mit einem Bein in der Nacht und mit dem anderen sozusagen im Tag stehen kann. Wer auch immer die Grenze überschreitet, ist in der Nacht, und es fällt kaum ins Gewicht, ob er einen Schritt oder hundert Schritte eingedrungen ist; doch das Gefühl, die Weite der Nacht im Rücken zu haben, ist für unsereinen unerträglich. Wer es mit Hilfe eines außerhalb der Nacht befestigten Seils gewagt hat, einige hundert Meter in die Nacht hineinzugehen, erzählt von einer Behinderung im Gehen, man werde vom Ort umwickelt, als wäre man verkehrt angezogen und könnte die Kleider nicht vom Leib bekommen.   - Giorgio Manganelli, Kometinnen und andere Abschweifungen. Berlin 1997
 

Grenze Land-kimmerisches

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme