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Hermann Lenz, Ein Fremdling. Frankfurt am Main 1988 (st
1491, zuerst 1983)
Gondel (2) Langgestreckt, schmal und schwarz recken diese mit Recht so berühmten, eleganten Gondeln ihre spitzen Enden hoch aus dem Wasser. Sie tragen vorn eine eigenartige, reizvolle Bugfigur aus glitzerndem Metall. Aufrecht hinter den Fahrgästen stehend, treibt und lenkt sie der Gondoliere mit einem Ruder, welches von einem an der rechten Bordseite befestigten, aus gedrehtem Holz gefertigten Arm .gehalten wird. Kokett und doch streng, verliebt, verspielt und doch kriegerisch sehen sie aus, diese Gondeln, und wundersam wiegen sie den Fahrenden, der halb ausgestreckt auf einer Art Chaiselongue liegt.
Die linde Weichheit dieses Sitzes, das sachte Wiegen dieser Barken,
ihre lebhafte und doch geruhsame Fortbewegung gibt einem ein fremdartig
beglückendes Gefühl. Man tut nichts und gleitet dahin, man ruht und schaut,
man empfindet diese Bewegung wie ein Liebkosen von Leib und Seele, fühlt
sich plötzlich durchdrungen von einem körperlichen Glücksgefühl und tiefem
seelischem Behagen. Wenn es regnet, wird über der Mitte des Fahrzeugs ein
kleiner, holzgeschnitzter Kasten angebracht, der mit Kupferbeschlägen verziert
und mit schwarzem Tuch ausgeschlagen ist. Dicht verhüllt, düster wie schwimmende
Särge gleiten die Gondeln dann dahin. Ein Geheimnis von Tod oder Liebe
scheinen sie mit sich zu führen, und zuweilen lassen sie hinter ihren schmalen
Fensterluken ein schönes Fraaenantlitz erkennen. - (err)
Gondel (3)
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