luß
formen, muster, fließende
bewegung, die in farbe taucht, abtropft, zum leben erwacht, zu kriechen beginnt
und um sich greift, sich umschlingt, fortpflanzt, verschwindet und immer wieder
auftaucht, jedesmal verändert und doch immer gleich, zähflüssiger gedankenhonig,
tupfen und klänge, jagt mir schauer durch den körper, hüllt mich ein, streift
mich wie flügelschlag und bildvorhänge wehen durch die gänge meiner gehirnwindungen,
singsang auf breitwand, gedankenhagel. gehirngeißeln klatschen in ein meer von
bildern und bedeutungen treten aus zellverbänden, taumeln sich frei und stürzen
durch spiegelsäle, irrlichter platzen aus augäpfeln,
locken kriechen aus kopfhäuten, münder klaffen, horden jagen wie eh über trümmer,
greifen und packen, schreien und blecken die zähne,
blutspuren an hausmauern. und farbspiralen winden sich durch sonnensiebe, flüsterstimmen
umkreisen ohrmuscheln, gleichklang, einsatz und pause, schatten und licht, aufsetzen
und abheben und dazwischen liniengependel, zurückkreuz und quervor. und pranken
reißen sich wege in bauchhöhlen, schlitzen gekröse und schnauzen wühlen sich
gierig durch leiber,.angstbilder bersten, zornfluten schießen aus wolkenritzen,
gift quillt aus poren und wieder öffnen sich münder und schreie ersticken unter
weitaufgerissenen augen, hände suchen noch einmal halt und einsam umklammern
sich finger. herzen hinter glaswänden pumpen (pulsgeräusch aus lautsprecherkästen)
blut durch plexischläuche und klarsichtkörper stampfen im takt, marschieren
laborkäfige entlang, quälen gedankenstumme lebenserscheinungen und zischen in
kapseln (versponnen in drähten) durch mißhandelte landstriche, über denen lautlos
und unbeirrbar sonden kreisen, über den himmel spannen sich muster, sie reißen,
zerplatzen im fallen und sickern in bilder, die, von hoch oben gesehen, weite
vegetationslose ebenen zeigen, auf denen dichtgedrängt nackte menschen knien,
die oberkörper vorgestreckt, die gesichter nahe am boden und in geheimer abspräche
heben sich arme, recken sich in den himmel, senken sich wieder, werden fallengelassen
und wieder hochgezwungen, sie wanken, wiegen sich pflanzengleich, würgen eine
Zeitlang in der luft herum und versinken in ausgebleichten skelettmeeren. und
eisplatten verschieben sich in meinem schädel, treten krachend und spitz aus
den aughöhlen, warenhäuser richten sich auf und stürzen wieder in sich zusammen
und großstädte werden, kaum fertig, dem erdboden gleichgemacht, aus dem schutt
dampfen farbnebel, kringeln sich hoch, bündeln sich zu regenbogengirlanden und
kleben schillernd als tau an betontrümmern. schienenstränge ragen zum himmel,
biegen, bewegen sich, ringeln sich ein, schnellen wie zungen vor, knallen gegeneinander,
kämpfen, drücken, zwingen sich gegenseitig zu boden, zucken und winden sich
und geben den geist auf. in tunneln fiebern menschenherden, tasten, schaben
herum, krabbeln, verdursten und paaren sich, blitze jagen geduckt über meere,
prasseln in hafenstädte, lecken Straßen entlang, nagen an mauern und sengen
überall flachbreit das offene land. gestalten torkeln vereinzelt aus löchern,
stolpern besinnungslos drei, vier ziellose schritte, schreien, stammeln und
übergeben sich, fallen der länge nach hin, weinen und zucken, und der himmel
platzt, wasser und licht gleißt, schwemmt alles fort, dreht alles um, stampft,
packt, reißt, rüttelt, siebt, drückt, kocht, brüht, stößt und wirft alles gleich.
- stille, ruhende massen, dünne einform flach um eine kugel gewebt, sonst nichts,
bewe-gung nicht, bedeutung nicht, dinglose worte, bildlose dinge brüten im staub,
aber langsam besinnen sich kräfte und schleppen sich wie von weither in die
ahnung von möglichen beziehungen. und bilder erheben sich, grünträume flocken,
prägen sich ein, streicheln und locken erinnerung, zaubern sehnsucht von wärme
in adern, bergen gefühle, atmen, summen durch täler, gleiten, schweben, erfinden
sich körper, tuscheln in schatten, recken vorsichtig glieder und berühren sich
weich, fühlen und zittern und schwingen zart nach, kommen entgegen, umhüllen,
befreien, wecken andächtig formen, ziehen leben ans licht, küssen, hauchen,
regen sich in bewegung, beginnen zu sehen, und beginnen zu suchen, rudern und
greifen, strengen sich an, bewegen sich krampfhaft, stieren ins dunkel, raffen
zusammen, reißen an sich, klammern, behaupten, wollen besitzen und versuchen
festzuhalten, anzuhäufen, einzulagern, wollen überdauern, und schätze plötzlich
und abfall, scheiße und gold. und rasen herum, jäger und beute, sieger, besiegte,
gewinn und verlust, gier, neid und grenzen, und blut. aus dem paradies vertrieben
tanzen sie neuen höllen entgegen. - und wieder bleiben die muster und klänge,
das singen bleibt und das sagen, das formen und bilden, das weben und malen,
das zeichnen, die zeichen, die form, und es schafft aus sich selbst, schaukelt
und gaukelt, vermengt sich in mir, kommt, setzt sich, platzt, explodiert, und
bruchstücke überlappen einander, erinnerungen tauchen auf, entleeren sich, füllen
mich aus, stopfen mich voll, berauschen, verwirren, haften, entfliehen.
- Anselm Glück, Falschwissers Totenreden(t). Frankfurt am Main 1981 (es 1061)
Fluß (2)
Die Sorgue Fluß, zu früh und ohne Gefährten gingst du auf rastlose Wänderschaft,
Fluß, für den Blitz das Ende, für mein Haus Beginn, Fluß, Erde ist Schauer in dir, Sonne Beklommenheit. Fluß, viele Male gestraft, Fluß, den man verkommen läßt. Fluß der Lehrlinge, die schwielig durchs Leben gehn, Fluß der Lumpen, des Argwohns und der verödeten Herzen, Fluß der Phantasten, der Fiebrigen, der Abdeckereien, Fluß aller, die besser sind als sie selbst, Fluß, dem der Nebel
entquillt, Fluß der Ehrfurcht vor Träumen, Wellen, die das Eisen zernagen,
Fluß überlieferter Kräfte und des Schreis auf schmaler Flut, Fluß, dem die kerkerverrückte Welt nie das Herz brechen konnte,
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- René Char, nach
(mus)
Fluß
(3)
Der Fluß
Und Gutsgebäude in sein Silber schlingend, Von Farmen überhöht dann fließt er breit, In majestätischer Geschlossenheit/ Bis wiederum in Glieder Der Inseln Schar mit grünen Parenthesen Des Stroms Periode teilt, die allzu große, So wechselt er sein Wesen Von hoher Grotte an, die ihn gebiert, Bis hin zum Jaspisschwall, in dessen Schöße Sein Feu'r verraucht, sein Name sich verliert. |
- Luis de Góngora, nach: Gustav René
Hocke, Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst.
Reinbek bei Hamburg 1969 (rde 82/83, zuerst 1959)
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