Buchhandel  Es war eher ein Paket als ein Brief. Ich hatte vor etlichen Tagen an eine Buchhandlung bezüglich eines bestimmten pornographischen Werkes geschrieben, und deshalb hatte man es mir hierhergeschickt, auch schon meine Adresse gefunden oder — besser gesagt — die Adresse meines Vaters, der kaum den Laden, noch ohne Schild und Firma, eröffnet hatte. Wahrhaftig, eine erstaunliche Organisation des Kundendienstes, eine bewunderungswürdige Genauigkeit der Expedition! Und diese ungewöhnliche Eile!

»Du kannst hinten im Kontor lesen«, sagte der Vater und warf mir einen unzufriedenen Blick zu, »du siehst selber, daß hier kein Platz ist.«

Das Kontor hinter dem Laden war noch leer. Durch eine Glastür fiel etwas Licht aus dem Laden herein. An den Wänden hingen die Mäntel der Verkäufer. Ich öffnete den Brief und begann, im schwachen Licht von der Tür her zu lesen.

Es wurde mir mitgeteilt, daß das gewünschte Buch leider nicht auf Lager sei. Man habe eine Suchaktion eingeleitet, aber, ohne dem Ergebnis vorzugreifen, erlaube sich die Firma, mir vorerst — selbstverständlich ganz unverbindlich — einen gewissen Artikel zu senden,  für den ein unbezweifelbares Interesse meinerseits vorauszusetzen sei. Es folgte eine komplizierte Beschreibung eines zusammenlegbaren astronomischen Refraktors von großer Lichtkraft und mit verschiedenen Vorzügen. Neugierig entnahm ich dem Umschlag das aus schwarzem Wachs- oder Steifleinen verfertigte Instrument, das in eine flache Harmonika zusammengefaltet war. Ich hatte immer eine Schwäche für Teleskope. Ich begann den. mehrfach zusammengelegten Mantel des Instruments auseinanderzunehmen. Mit dünnen Stäbchen versteift, baute sich unter meinen Händen der riesige Balg eines Fernrohrs auf, das seinen langen Tubus über die ganze Länge des Zimmers erstreckte, ein Labyrinth schwarzer Schotten, ein langer Komplex optischer Dunkelkammern, halb ineinandergeschoben.  Es war etwas in Form eines langen Autos aus lackiertem Leinen, irgendein Theaterrequisit, das mit dem leichten Material von Papier und steifem  Drillich die Massivität der Wirklichkeit nachahmte. Ich schaute in den schwarzen Trichter des Okulars und erblickte in der Tiefe die kaum wahrnehmbaren Umrisse der Hoffassade des Sanatoriums. Neugierig geworden, schob ich mich tiefer in die hintere Kammer des Apparats. Ich verfolgte jetzt im Sehfeld des Fernrohrs das Zimmermädchen, das mit einem Tablett in der Hand über den halbfinsteren Korridor des Sanatoriums ging. Sie drehte sich um und lächelte. Sieht sie mich etwa? dachte ich mir. Eine unbezwingbare Schläfrigkeit verdeckte mir die Augen mit Nebel. Ich saß eigentlich in der hinteren Kammer des Fernrohrs wie in einer Wagenlimousine. Die leichte Bewegung eines Hebels — und der Apparat begann im Flügelschlag eines Papierschmetterlings zu rascheln, und ich merkte, daß er sich plötzlich mit mir bewegte und sich der Tür zuwandte.

Wie eine große schwarze Raupe fuhr das Fernrohr in den beleuchteten Laden — ein vielgliederiger Rumpf, eine riesige Pa-pierschabe mit der Imitation zweier Laternen vorne. Die Käufer drängten sich zusammen, wichen vor diesem blinden Papierwurm zurück, die Verkäufer öffneten weit die Tür auf die Straße, und ich fuhr mit diesem Papierauto langsam durch das Spalier der Kunden, die mit Anstoß nehmenden Blicken diese in der Tat skandalöse Ausfahrt begleiteten, auf die Straße hinaus.   - Bruno Schulz, Das Sanatorium zur Todesanzeige. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966

 

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