telier Man
brachte das, in einem Atelier statthafte, Spiel in Vorschlag, durch das Los
zu bestimmen, wer nackt auf das Modellpodest zu steigen habe; und obzwar Sengle
bereits vorausgesagt hatte, daß es so kommen würde, fiel das Los ganz ohne Mogelei
gleichwohl auf Severus Altmensch. Nachdem dieser sich zu gehorchen geweigert
hatte, packte ihn Sengle - mit spitzen Fingern - an den Schultern, und Schmutzfink
entledigte ihn...
Der nackte Severus Altmensch kam zum Vorschein, mit Ausnahme seiner Füße, die dadurch, daß man sie sich auf dem Grund der übertrieben großen Stiefel vorzustellen hatte, noch viel unförmiger wirkten. Hohl die Brust, der Spitzbauch wie ein Tetraeder kantig vorschießend, Arme wie zwei Latten, die Beine eines Fauns - eines solchen aber, den man selbst noch als Kupferstich aus Scham entmannt hätte - und sämtliche Gliedmaßen nach nicht dafür vorgesehenen Richtungen abknickend. Überall kümmerte ein gelockter Flaum aus Vikunjaschaf- oder Lamawolle, einer Wolle, der schweißiger Fettgeruch entströmte; und mit seinen zu Krallen geschnittenen Nägeln strählte er den Schampelz seines enormen Wanstes zu einem zur Brust hin spitz zulaufenden Dreieck.
Schmutzfink bestand auf seiner vollkommenen Willfährigkeit; Severus stieß leise Schreie aus, sträubte sich und biß ihr in die Brust. Sie kam zu keinem Ergebnis, denn er war Masochist, Fetischist und Anhänger der Basoche, er ringelte sich auf dem Teppich und lutschte dabei am Schnabel eines ausgestopften Pfaus.
Gemäß der Losfolge entstieg nun Freiherr Suszflasche der Kleidung fast genauso niederträchtig, zumal er, jetzt vierundzwanzigjährig, mit zwölf Jahren im Wachstum stehengeblieben war, wie Schopenhauer es von seinesgleichen fordert; einzig in den Knochen und im Bauch war Leben.
Raphael Roissoy, von Angesicht schön, weil geschminkt, der Körper zu weibisch, wie Johannes der Täufer von Da Vinci.
Bondroit tadellos; der Letzte aber, Sengle, der Ebenmäßigste, wie man fand, mit dem keuschesten Körper, obgleich er mit seinem beginnenden Schnurrbart ein bißchen zu sehr nach Malermodell aussah.
Und weil nichts außer sechs nackten Leibern vorhanden war, gab es auch keinen öffentlichen Anschlag auf die guten Sitten. Plötzlich klingelte - und Bondroit ging nackt öffnen - Moncrif, von einer fuchsroten, beinah ebenso gestauchten Häßlichkeit wie Severus Altmensch. Baff und paradoxerweise eine Vergewaltigung befürchtend, nahm der Eintretende Platz, noch immer mit mehreren Pelerinen gepanzert. Und alle empfanden einen tiefen Abscheu vor ihm; denn als der Siebente war er, wiewohl gekleidet, der Inbegriff des UNSITTLICHEN ANSCHLAGS.
Und so verschwanden die Sechs im Rauch der großen Lampe, deren Glas zerborsten
war; und hasteten, von dem anwesenden Siebenten in ihrem Schamgefühl verletzt,
barfuß auf Schnittwunden ihren Kleidern zu. - Alfred Jarry, Tage und Nächte. Roman eines Deserteurs.
Frankfurt am Main 1998 (zuerst 1897)
Atelier (2)
Atelier (3)
Atelier (4)
Atelier (5)
Hans Bellmers Atelier in Berlin-Karlshorst 1936
Atelier (6)
Ein anderer Freund hatte die Angewohnheit, mich auf seine Arbeitsfläche mitten
in einem Hightech-Atelier zu legen und mir seinen Schwanz zu präsentieren, den
er wie einen riesigen Stempel aus der Blütenkrone eines Höschens mit Spitzenbesatz
und Schlitz zog - eine barocke Note in der strengen Umgebung. Das musste ich
Dutzende von Malen erzählen, selbst als ich diesen Freund nicht mehr traf; ich
musste es nicht mal variieren. - Catherine Millet, Das sexuelle Leben der
Catherine M. München 2001
Atelier (7) Mein Atelier war ein Stück meiner Welt,
Es
lag im Dachgeschoß eines Mietshauses in der Stephanstraße, Südende bei
Berlin. Die Möbel bestanden aus Kisten, die ich teilweise angestrichen,
mit brauner Leinwand bespannt oder sonstwie wohnlich hergerichtet hatte.
Längs der Wände aufgereiht standen leere Flaschen. Die von ihnen
abgelösten Etiketten gehörten zum Wandschmuck; die stahlstichhaften
Schloßansichten der Rotweine, die bunten italienischen mit Vesuv und
Rebe, die schwarzen, weißbeschrifteten der Port- und Südweine wirkten
wie große Briefmarken. Eine Gaslampe hing von der Decke. Auch da gab es
eine Verzierung: eine große schwarze Kreuzspinne mit Beinen aus Draht
hing an einem Faden. Sie bewegte sich, und ihre langen Beine zitterten,
wenn ein Luftzug ins Zimmer kam.
Hier und dort hatte ich Stücke eines zerbrochenen Spiegels angebracht.
Auf Möbel, Wand und Decke geklebte Zigarrenringe, und Flittersterne
belebten den Raum, Rechts stand ein sogenannter Herrenschreibtisch.
überall waren Reproduktionen und Photographien befestigt: Frauen im
Trikot, alte Photos aus den Neunzigerjahren, dazu ein paar Aufnahmen von
Männern, die ich verehrte — zum Beispiel eine von Henry Ford mit
großartiger Widmung: «To George Grosz the artist from his admirer Henry
Fords*.. (Die hatte ich — natürlich im geheimen Einverständnis mit Henry
Ford - mir selbst gewidmet.) - George Grosz, Ein kleines Ja und ein
großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst
1955
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