Zweigesicht  Als das Mädchen sich allein glaubte, nahm sie plötzlich ein Gewand hervor und murmelte vor sich hin: »Es fehlt da noch ein Teil der Kante, aber bald ist alles fertig.« Da sah Hakela, daß das Gewand überall mit Menschenhaar verziert war! Doch sogleich fing das Mädchen wieder an zu reden: »Ich glaube, ich werde Hakelas Haar dazu nehmen, wenn es auch nicht so gut ist wie das seiner Brüder.«

Sobald die Brüder zurückkehrten, nahm Hakela sie beiseite und berichtete, was er gehört und gesehen hatte. Da sprach der Älteste: »Wenn das kein Mensch ist, dann kann es nur Zweigesicht sein. Doch wir wollen uns nichts merken lassen, denn sonst sind wir verloren. Die erste Gelegenheit werden wir benutzen, um uns aus dem Staube zu machen.«

Auch am nächsten Tage paßte Hakela scharf auf und beobachtete, was im Tipi vor sich ging. Da sah er, wie das Mädchen einen Beutel hervorsuchte, aus dem sie rundliche, vertrocknete Gegenstände nahm und in den Kochtopf warf. Anschließend aß sie das Gericht, und der Junge sah zu seinem Entsetzen, daß es menschliche Ohren waren, die da verspeist wurden! Dabei schien die Fremde an dieser Mahlzeit noch großen Gefallen zu finden.

Als er seinen Brüdern von diesem Erlebnis berichtete, beschlossen sie, das Lager möglichst bald zu verlassen, denn die Besucherin konnte niemand anders als Zweigesicht sein, von dem man berichtete, daß er menschliche Ohren aß. Zweigesicht, der böse Geist des Waldes, war stärker als alle Menschen. Selbst fortlaufen konnte man nicht vor ihm, denn er war so schnell wie der Wind, so ausdauernd wie der Herbstregen und so schlau wie Coyote.  - Nordamerikanische Indianermärchen. Hg. Gustav A. Konitzky. Düsseldorf, Köln 1982 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

 

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