weig  Am  Morgen stand der Müller mit seinem Holunderzweig in der Hand auf dem Dorfplatz. Gerade in diesem Augenblick reinigte die Magd des Pfarrers das Nachtgeschirr ihres Herrn. Der Müller berührte die Magd und das Nachtgeschirr mit seinem Holunderzweig.

»Halt fest!«

Auf der Stelle bildeten des Pfarrers Magd und das Nachtgeschirr eins, und so fest hielten sie zusammen, daß weder Gott noch der Teufel die Macht gehabt hätte, sie zu trennen.

»Zu Hilfe!« rief die Magd.

Da lief ein Müller herbei, der sein mit Hafer beladenes Maultier am Halfter führte.

»Halt fest!«

Auf der Stelle bildeten die Pfarrersmagd, das Nachtgeschirr, der Müller und das mit Hafer beladene Maultier eins, und so fest hielten sie zusammen, daß weder Gott noch der Teufel die Macht gehabt hätte, sie zu trennen.

»Zu Hilfe!« riefen die Pfarrersmagd und der Müller.

Da kam ein Fuhrmann mit einem großen Heuwagen, der von sieben Pferden gezogen wurde, auf den Platz gefahren. Das Leitpferd roch den Hafer und näherte sich dem Maultier.

»Halt fest!«

Auf der Stelle bildeten die Pfarrersmagd, das Nachtgeschirr, der Müller, das mit Hafer beladene Maultier, der große Heuwagen, die sieben Pferde und der Fuhrmann eins, und so fest hielten sie zusammen, daß weder Gott noch der Teufel die Macht gehabt hätte, sie zu trennen.

»Zu Hilfe!« riefen die Pfarrersmagd, der Müller und der Fuhrmann.

Da fuhr der Mühlenbesitzer in seinem Vierspänner auf den Dorfplatz, und auf dem Bock saß ein Kutscher, der war über und über mit Gold betreßt. Die vier Pferde sahen das Heu auf dem großen Leiterwagen und gingen hin, um davon zu fressen.

»Halt fest!«

Auf der Stelle bildeten die Pfarrersmagd, das Nachtgeschirr, der Müller, das mit Hafer beladene Maultier, der große Heuwagen, die sieben Pferde, der Mühlenbesitzer, der Vierspänner und der über und über mit Gold betreßte Kutscher eins, und so fest hielten sie zusammen, daß weder Gott noch der Teufel die Macht gehabt hätte, sie zu trennen.

»Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

Aber die Dorfleute waren entsetzt geflüchtet. Bis Sonnenuntergang war der Müller mit dem Holunderzweig höchst vergnügt bei der Betrachtung seines Werkes. Schließlich bekam er Mitleid mit diesen Leuten und mit diesen Tieren.

»Herr«, sprach er zu dem Mühlenbesitzer, »Ihr müßt für alle bezahlen. Was gebt Ihr mir, wenn ich Euch befreie?«

»Müller, ich gebe dir meine Windmühle, so gut instand gesetzt, daß sie wie neu ist, dazu drei schöne Maultiere.«

»Abgemacht. Laß los!«

Auf der Stelle läßt der Mühlenbesitzer in seinem Vierspänner mit dem über und über goldbetreßten Kutscher den großen Heuwagen, die sieben Pferde und den Fuhrmann los. Der große Heuwagen, die sieben Pferde und der Fuhrmann lassen den Müller mitsamt dem mit Hafer beladenen Maultier los. Der Müller und das mit Hafer beladene Maultier lassen die Pfarrersmagd und das Nachtgeschirr los. Und die Pfarrersmagd läßt das Nachtgeschirr los.  - Französische Märchen. Hg. Ré Soupault. Düsseldorf u. Köln 1967

Zweig (2)  Sind frische Zweige fundamental? Grundsätzlich nicht, wie es scheint. Zweige ermangeln, für sich genommen, der Unabhängigkeit. Sie können nur aus einem Stamm wachsen, das heißt, aus einem Baum. Betrachtet man die Sache aber unter einem anderen Gesichtspunkt, dann könnte man wohl sagen, sie sind fundamental, denn ohne Zweige gibt es keine Blätter, und ohne Blätter würden die Bäume ihren größten Reiz verlieren. Welchem Spaziergänger könnte ein Baum ohne Blätter nützen, Bautista? Erst Blätter und Zweige machen die Bäume zu Bäumen, mein Freund, und dichtbelaubte Bäume sind  die größten Liebhaber der Stürme. Es gibt indes ein weiteres Argument für die Fundamentalität der Zweige - wenn dieses Wort erlaubt ist. Passen Sie auf: Die Samen der neuen Bäume sind in den Früchten eingeschlossen, und die Früchte hängen an den Zweigen. Wir sind damit unversehens in die aristotelische Lehre von actu und potentia eingedrungen. Darum: wenn es keine Zweige gibt, gibt es auch keine Früchte, die an ihnen hängen, und wenn es keine Früchte gibt, gibt es auch keine Samen, aus denen morgen neue Bäume entstehen können. Nehmen wir zum Beispiel die Waldeiche, meinen Lieblingsbaum. In der Eichel dieser Waldeiche lebt schon eine andere potentielle Waldeiche. Können Sie mir folgen ? Jeder Zweig dieser Waldeiche ist also fundamental, denn ohne diesen Zweig gäbe es keine Eicheln, und ohne Eicheln gäbe es keine Eichenwälder. Wie? Was sagen Sie, Bautista? Daß die Waldeichen keine Eicheln tragen? Daß die Eicheln an den Steineichen wachsen? Hängen Sie doch nicht an solchen Kleinigkeiten, mein Freund, lassen Sie sich nicht anmerken, daß Sie ein hochgekommener Bauer sind. - (marq)

Zweig (3)  

 

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