eihnachtsabend Im
»Middernachtstango« war das Orchester plötzlich verstummt, und alle Gäste
hatten sich erhoben, um entblößten Hauptes eine Schweigeminute einzuhalten
und den Glocken des Doms zu lauschen, die Christi Geburt priesen, wie dies
in Holland der Brauch ist. Und in diesem feierlichen Augenblick brach die
namenlose Keilerei aus. Ein Mann stand da mit einem Humpen in der Hand,
bereit, mit einer Frau anzustoßen. Ein anderer klopfte ihm von hinten auf
den Arm. Das Bier ergoß sich über die Brust der Frau. Diese schrie empört
auf. Der Mann, der eben mit ihr hatte anstoßen wollen, zerschlug den Boden
seines Humpens auf der marmornen Tischplatte, und mit den Scherben, die
noch am Henkel festsaßen, den er in der Faust hielt, hieb er seiner Begleiterin
mitten ins Gesicht. Aber war es überhaupt seine Begleiterin? Gehörte sie
nicht zu dem andern? Ich weiß es nicht, und ich hatte auch keine Zeit,
darüber nachzudenken. Schon schlug Peter wie ein Wilder zu, und Gläser,
Flaschen, Teller, Platten und Bestecke flogen herum. Was für ein Fest!
Jemand drehte das Licht ab. Da erhob sich ein gewaltiges Wutgeschrei, und
die allgemeine Prügelei ging los. Laut klirrend brachen die Tische samt
dem Geschirr zusammen, Stühle flogen, ein Lüster fiel den Leuten auf den
Kopf, Fenster und Spiegel zerbrachen in hysterischem Gelächter, zerschmettert
von den Blumentöpfen, die wie vom Katapult geschleudert hineinsausten.
Die niedergetrampelten Frauen kreischten vor Entsetzen. Die Anrichtetische
und Kredenzen stürzten polternd um, und ich weiß nicht, wie ich plötzlich
auf die Straße befördert wurde, die schon in vollem Aufruhr war. Laternenpfähle
waren umgestürzt, Gaslaternen demoliert, die Schaufensterscheiben eingedrückt
und die Auslagen von einem Geschmeiß von Straßenjungen, die in größter
Eile aus allen Gäßchen herbeiströmten, geplündert, und Peter und ich wurden
von einem Häuflein von Matrosen mitgerissen, das die Hauptstraße heraufkam
und dem sich all die armen Hunde anschlossen, die blaue Seemannskluft,
Matrosenmütze und -bluse, Gummistiefel und Ölzeug, trugen und aus den Kneipen
stürmten, weil die ganze Bevölkerung der Boom auf sie einschlug. Also war
die Keilerei nicht durch den Zwischenfall im Restaurant verursacht worden,
sondern im ganzen Hafenviertel wurde schon wild gerauft und geplündert.
Man ging auf Glassplittern. Die Fenster hatten keine Scheiben mehr. Die
Türen waren eingedrückt. Ihre Flügel wurden als Schlegel und Keule benutzt.
Man erschlug sich gegenseitig. Unter den Schmährufen der Frauen, die uns
aus den Stockwerken mit allem, was ihnen in den Zimmern in die Hände fiel,
bombardierten, mit Wassertöpfen, Mülleimern, Brennscheren, Parfümflaschen,
Bügeleisen, Toilettegegenständen, Kohleneimern, Grammophonplatten und Champagnerflaschen,
schob sich die Kolonne vorwärts, rechts und links, vorn und hinten Schläge
verteilend und empfangend. An der Spitze und am Ende unseres Haufens versperrten
uns die Bullen des Viertels den Weg, und die Kerle waren zäh. Nur schrittweise
kamen wir voran. Oft wogte alles wieder zurück, und einige Male wurden
wir in die Seitengäßchen abgedrängt, während der Pöbel sich zusammenrottete
und die Zahl der Raufenden in beiden Lagern - weit entfernt davon zusammenzuschmelzen
- zusehends anwuchs. Auf einmal befand ich mich an der Spitze vor einer
Wand aus Leibern, die die Straße abriegelten, und ich rannte mit dem Kopf
voran unseren Gegnern gegen den Bauch, mir methodisch mein Loch bohrend,
indes zu meiner Rechten Peter mit beiden Fäusten hart dreinschlug, sorgsam
nach dem Kinn zielend, und zu meiner Linken ein Unbekannter, ein großer
amerikanischer Matrose, bewaffnet mit zwei rasiermesserscharfen Schallplattenstücken,
die er auf dem Pflaster aufgelesen hatte, mit seinen langen Armen Räder
schlug und dabei Gesichter zerschnitt, Nasen spaltete, Wangen aufschlitzte
und Ohren abhackte. -
(cend)
|
||
|
||