erschlußsache
Ich hatte wenig Zeit, ich lasse offen, wer das Schreiben - absichtlich oder
unabsichtlich - auf dem Tisch vergessen hatte und mich im Zimmer allein ließ.
Ich hatte es sofort gerochen: es war eine Verschlußsache, dergleichen bekam
unsereins für gewöhnlich nicht zu Gesicht. - Nehmen Sie die Nase aus Kesselsteins
Papieren! hörte ich aus dem Nebenraum die stets ärgerliche Baßstimme, die ich
schon kannte, deren Besitzer ich jedoch nie gesehen zu haben glaubte. Ich wußte,
ich war im Auge der Kamera . .. und doch hatte ich die Unverfrorenheit besessen,
mir schnell ein paar Zeilen zu notieren: ... Festlegung der durchzuführenden
Zersetzungsmaßnahmen auf der Grundlage der exakten Einschätzung der erreichten
Ergebnisse der Bearbeitung des jeweiligen Operativen Vorgangs ...
Irgendwann, dachte ich, wird ein solcher Text an die Öffentlichkeit gelangen... und niemand wird, wieder einmal, etwas davon gewußt haben wollen, - der Minister hat seine Verschlußsachen nur für sich selber geschrieben. Und alle Geheimdienste der Welt arbeiten mit solchen Mitteln, wird man sagen. - Sehr richtig, nur zu wahr!
Was mich daran interessierte, war eigentlich nur die Monstrosität der Abstraktionsreihe,
die ich vor mir hatte. Ich werde solchen Sprachgebrauch bis in alle Ewigkeit
wiedererkennen, dachte ich, auch in mir selber... er wird für mich künftig ein
Signal sein. An ihren wuchernden Genitiven werde ich sie erkennen. An der bis
zur Unkenntlichkeit des Ausgangspunktes fortgesetzten Aneinanderreihung von
Genitiven, an der Maßlosigkeit des zweiten Falls ... als ob der sich immer wieder
zum ersten Fall aufwürfe, zum Ernstfall. Es war im Grunde ein den Realismus
zerstörender Sprachgebrauch ... einer ungewollt surrealistischen Methode ähnlich,
die einen psychotischen Automatismus erzeugte. Vielleicht haben die wirklichen
Surrealisten davon bloß phantasieren können ... von ihnen stammt das berühmte
Bild des Würfels aus dem Würfel, in dem wieder ein Würfel steckt/ und darin
wieder einer und so fort. - Die Maschine der Genitive macht damit Ernst, dachte
ich. Sie unterwandert mit diesem Truggebilde die Wirklichkeit... sie ist also
die Simulation einer unendlichen Konsequenz. Wahrscheinlich war eine solche
Hysteresis der Genitive in einer anderen Sprache als der deutschen gar nicht
möglich. Man konnte in dieser Gedankensprache immer nur einen Schritt auf den
anderen folgen lassen, lediglich um festzustellen, daß man noch immer nicht
am Ziel war und wieder einen nächsten Schritt tun mußte: wenn es geschah, daß
man endlich doch das Satzziel erreichte, fühlte man sich schon so verstrickt,
und vollkommen eingereiht in eine Abfolge von Konspiration, und vielleicht für
immer, daß man nur noch ausgelöscht zurückblickte, und in unendlicher Müdigkeit
dorthin, wo man einmal angefangen hatte, - so, als sei man in der Hoffnung auf
einen Ausweg immer weiter dem Satzende nachgegangen, doch dieses habe dann erst
die ganze Ausweglosigkeit gezeigt. -
(ich)
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