rümmerstadt Der
Wagen schwankte und tastete sich durch den Paß, der zwischen den Trümmern notdürftig
freigelegt war, über Geröllhalden zusammengebrochener Gebäude, an Kratern vorbei
und unter zerknickten Brücken hindurch, von denen Waggons wie Girlanden ins
Wasser der Hafenbecken hingen, aus denen der Bug einer Schute emportauchte,
erschrocken über die plumpen Körper von Oberländerkähnen, die leblos auf der
Seite trieben. An den Rändern des Passes lagen längliche Bündel, und man sagte,
es wären Leichen. Alle so still, und viel lauter glaubte man den Todesschrei
der Autos gellen zu hören, die, gelbausgeglüht und in letzter Not sich erbarmungswürdig
aufbäumend, den vergeblichen Fluchtweg bezeichneten.
Und nirgends Querstraßen, um in das seitliche Dickicht zu gelangen;
alles ineinander verfilzt. Nur selten ein Blick frei durch eine schwarze Fensterwölbung.
Und darüber statt der Grabschriften unverständliche Reklametafeln. Plötzlich
zog man den Kopf ein, weil eine sechsstöckige Fassade sich über die Straße neigte
und durch die Erschütterung des Wagens zu fallen drohte. War man vorbei und
wandte sich um, sah man ganz oben einen Balkon hängen und darüber eine aufgespannte
Markise und sogar einen Balkonkasten mit roten Geranien. - Hans Erich Nossack, Der Untergang.
Frankfurt am Main 1987 (entst. 1943)
Trümmerstadt (2) Sie ziehen ab aus der Chicago-Bar, einen Kilometer durch die Schuttgebirge, auf Saumpfaden, die in diesem Dunkel allein Säure sieht, und hinunter in einen hauslosen Keller, möbliert mit Aktenschränken, einem Bett, einer Petroleumlampe, einer Druckerpresse. Magda kuschelt sich an Slothrop, ihre Finger tanzen über seine Erektion. Trudi hat eine unerklärliche Zuneigung zu Bodine gefaßt. Säure beginnt, an seinem klappernden Rad zu kurbeln, und tatsächlich kommen ganze Bogen von druckfrischen'Reichsmarks aus der Maschine in den Korb gesegelt, Tausende und aber Tausende. «Druckplatten und Papier sind echt! Das einzige Detail, das fehlt, ist eine leichte Wellung an den Rändern. Dafür gab's eine spezielle Presse, aber an die ist keiner rangekommen.»
«Hm», sagt Slothrop.
«Nun komm schon, Rocketman», sagt Bodine. «Oder bist du alt geworden?»
Sie helfen, die Bogen aufzustoßen und geradezurichten, während Säure sie mit einer langen, schimmernden Klinge schneidet. Er hält Slothrop eine fette Rolle Hunderter unter die Nase. «Morgen könntest du zurück sein. Nichts ist zu schwer für den Raketenmenschen.»
Zwei Tage später erst wird Slothrop wissen, was er jetzt sagen sollte, nämlich:
«Bis vor ein paar Stunden war ich doch noch gar nicht Rocketman!» Im Augenblick
aber ist er zu berauscht von der Aussicht auf ein Kilo Haschisch und eine Million
beinahe echter Mark. Das ist nichts, wovor man schreiend wegläuft, oder -fliegt,
nicht wahr? So nimmt er denn zweitausend Vorschuß und verbringt den Rest der
Nacht mit der runden und stöhnenden Magda auf Säures Bett, dieweilen Trudi und
Bodine es in der Badewanne treiben und Säure wieder
aufbricht zu einem anderen Geschäft, hinaus in die Drei-Uhr-Morgen-Wüste, die
wie ein Ozean von allen Seiten gegen die Boje dieses Raumes preßt... - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei
Hamburg 1981
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