- Hans Erich Nossack, Der Untergang.
Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1948)
Keller (2) Der alte Mann rieb seine Finger. »Ich bezahl'! Ich bezahl', ich bezahl'! Sie weggeh'!«
»Spade Cooley, Papa. Sie gehen jetzt nach unten und sagen ihm, Natsky hat die Wasche gebracht. Chop-chop!«
»Spade bezahl'! Sie lass' in Ruhe! Ich bezahl'! Ich bezahl'!«
Die Gören umkreisten ihn. Pap-san fuchtelte mit einem Hackmesser.
»Sie jetzt geh'! Geh' sofor'! Ich bezahl'!«
Bud zog mit dem Fuß eine Linie auf dem Fußboden. Papa überschritt sie.
Bud holte mit seinem Prügel aus und erwischte Papa an der Hüfte. Er krachte in den Herd, sein Gesicht landete in der Gasflamme, seine Haare fingen Feuer. Die Kids gingen auf ihn los. Bud erwischte ihre Beine mit einem einzigen Hieb. Die beiden landeten in einem Knäuel auf dem Boden - Bud schlug zu. Der Alte hatte den Kopf ins Spulbecken getaucht, kam jetzt auf ihn losgestürzt, das Gesicht angekokelt.
Ein Rundschlag auf die Knie - Papa ging zu Boden, die Hand fest um das Hackmesser gekrallt. Bud setzte seinen Fuß auf die Hand, hörte Finger brechen - Papa schrie auf und ließ los. Bud schleppte ihn zum Herd, riß die Falltür auf und zog den alten Mann mit nach unten.
Dunst, Opium, Wasser. Bud brachte Papa-san mit einem Fußtritt zur Ruhe. Durch den Qualm sah er Opiumraucher auf Matratzen liegen.
Bud versetzte ihnen der Reihe nach Fußtritte. Lauter Schlitzaugen - sie murrten, sogen an ihren Pfeifen, versanken wieder in ihrem Traumland. Rauch: in seinem Gesicht, in der Nase; er atmete schwer und hatte ihn bald auch in der Lunge. Wasserdampf schlug ihm entgegen, zog ihn an wie ein Leuchtfeuer:
Weiter hinten eine Dampfsauna.
Er bahnte sich einen Weg zur Tür. Durch den Nebel sah er Spade Cooley - nackt, drei nackte Mädchen. Kichern, Arme und Beine ineinander verschlungen - eine Orgie auf einer rutschigen Kachelbank. Spade war so verknault in die Frauen, daß es unmöglich war, einen sicheren Schuß anzubringen.
Bud druckte auf einen Schalter an der Wand. Der Dampfstrahl hörte auf, der Nebel lichtete sich, Spade hob den Kopf und warf einen Blick herüber. Bud zog seine Waffe.
TÖTE IHN.
Cooley war schneller, zog zwei Madchen als Schutzschild an sich. Bud sprang hin, riß an Armen und Beinen. Fingernägel zerkratzten ihm das Gesicht. Die Mädchen rutschten aus, stolperten, rannten zur Tür. Spade sagte nur: »Jesus, Maria und Joseph.«
Der Rauch in seiner Lunge braute ihm bereits ein eigenes Traumland. -
James Ellroy, L.A. Confidential. Berlin 2006 (zuerst 2000)
Keller (3) Wenn man nicht wußte wohin, blieben
immer noch die Keller im Wolffe-Block. Kilometerlange Keller. Einer vögelte
und die anderen würfelten. Manchmal viele Stunden lang. Aber sie machte ihren
Schnitt dabei. Sie brauchte bloß die Beine breit zu machen. Außerdem machte
es Spaß. Manchmal. Und wenn nicht... na und? Das war nicht so wichtig. Man legt
sich auf den Rücken. Oder beugt sich über eine Mülltonne. Immer noch besser
als arbeiten. Und es macht Spaß. Eine Zeitlang jedenfalls. - Hubert Selby, Letzte Ausfahrt
Brooklyn. Reinbek bei Hamburg. 1989 (zuerst 1957
Keller (4) Der Keller, in den ich geriet, erhielt
von nirgendwoher Licht, hatte nur das überaus spärliche aus dem Treppenhaus.
Bei dieser ungewissen Beleuchtung erkannte ich so etwas wie eine Gruft:
an den tropfenden Wänden fahles Moos und vereinzelt hier und dort ein Büschel
fast weißes Venushaar; also schon eher eine Höhle. Zwei Öffnungen, eine rechts
und eine links, führten in ebensolche Dunkelheit; ich brauchte nur zu wählen,
doch Erfreuliches würde mich weder auf der einen noch auf der anderen Seite
erwarten. In diesem Augenblick ließ mich ein Geräusch
von oben aus dem Vorratskeller annehmen, daß der Alte gegangen sei; vorsichtig
stieg ich wieder hinauf und konnte in der Tat feststellen, daß sich niemand
mehr in dem Keller befand. War es eine Verfolgung
gewesen, so hatte er sie jetzt aufgegeben. - Tommaso Landolfi, Herbsterzählung.
Reinbek bei Hamburg 1990 (zuerst 1975)
Keller (5) Oh, die Keller, in die ich hinabstieg,
wenn ich mich von meiner ewigen Besorgnis um die Möglichkeit der Lust zu Tode
gelangweilt fühlte, hinab, um einen sicheren Platz zum Onanieren
zu finden, dabei tiefer und tiefer in die höllischen Stockwerke der Katakomben
eindrang, in das Labyrinth, über dem sich die ehemalige
Munitionsfabrik aufbaute. — Damit beschreibe ich mir mein Leben, dachte ich,
mein Leben mit all seinen Untergründen, Kellerverliesen, Unterböden, Untermauerungen,
damit benenne ich es endlich. - (
hilb2
)
Keller (6) Im keller des großvaters des mörders gibt es eine fensterähnliche öffnung, durch die das tageslicht fällt; leute gucken öfters von außen durch sie, sehen aber nichts.
Öfters auch guckt der großvater des mörders von innen durch die öffnung; er sieht dann den gemüsegarten und ein stück des feldes.
Im keller des großvaters des mörders gibt es reststücke einer ägyptischen sammlung und einige regale mit weinflaschen.
Der keller des großvaters des mörders ist ein keller, in den man nicht hineinsehen, aus dem man aber wohl heraussehen kann.
Der großvater des mörders zieht seine hausschuhe aus und legt froschgrüne gummistiefel an.
Er stapft durch den gemüsegarten, um die roten spuren seines enkelsohnes zu verwischen.
Auf dem feld ist eine feldhüterhütte, welche durch einen unterirdischen gang mit dem keller des großvaters des mörders verbunden ist.
Die reststücke der ägyptischen Sammlung des großvaters des mörders stammen aus dem besitz des großvaters des großvaters des mörders; skarabäen gibt es eine menge hinter verstaubtem glas.
Im unterirdischen gang zwischen dem keller des großvaters des mörders und der hütte des feldhüters auf dem feld gibt es salpeter, versickerte urinlachen, weiße spinnen, fast weiße asseln und ein durch die erdfeuchte völlig aufgeweichtes, zerknülltes fahndungsblatt.
Der enkelsohn des großvaters des mörders ist der mörder, er hätte etliche menschen auf dem gewissen, hat sie aber tatsächlich nicht, weil er kein gewissen besitzt - ein solches erscheint ihm wertlos.
Der großvater des mörders beschäftigt sich im keller mit dem numerieren der reststücke der ägyptischen sammlung seines großvaters.
Der enkelsohn des großvaters des mörders bürstet seinen rock aus, wascht sich die hände und schweigt beharrlich.
Zwischen 2850 und 2650 liegt die thinitische epoche, der keller des großvaters des mörders liegt etwa zwei meter unterhalb der bodenfläche, die opfer des mörders liegen in dunklen anzügen, dem großvater des mörders liegt ein unüberlegtes wort auf der zunge.
Eine ratte.
Die civilisation versorgt uns mit jacken, hosen, schuhen; die presse versorgt uns mit schlagzeilen, heiteren witzen, annoncen; die historie versorgt uns mit nachrichten aus dunkler vorzeit, vagen ahnungen, ambiguitäten.
Der eroßvater des mörders bläst den dicken staub von der oberflache der vitrine; das elektrische licht leuchtet hinter einem weitmaschigen drahtgitter.
Jetzt steigt der mond hoch!
In der eisenbahnstation steigen reisende und ein controlleur aus: es ist schon sehr still in der dunklen allee, nur hin und wieder knirscht es im kies.
Der keller des großvaters des mörders ist ein gutgemauerter keller:
rote, keineswegs poröse ziegel, ein zementierter boden, seit heute wieder
ordentlich gefegt, die gläser der vitrinen blank, die sammlung mit den
reststücken dank der vorzüglichen beleuchtung gut sichtbar - der großvater
des mörders trägt sich mit dem gedanken, abendliche führungen einzurichten.
- H. C.
Artmann
,
Unter der Bedeckung eines Hutes. Montagen und Sequenzen. Frankfurt am Main
1976 (st 337, zuerst 1974)
Keller (7)
- Hans Bellmer
Keller (8) In Bartlebooths Keller befinden sich ein Rest Kohle, auf dem noch ein Eimer aus schwarzem, emailliertem Blech mit einem Bügel aus Eisendraht und einer Holzmuffe liegt, ein Fahrrad, das an einem Fleischerhaken hängt, heute leere Flaschenschränke, und die vier Koffer seiner Reisen, vier gewölbte, mit Teerleinwand überzogene Koffer, mit Holzleisten umgürtet und innen ganz mit Zinnblättern gefüttert, um ihre Undurchlässigkeit zu garantieren.
Bartlebooth hatte sie in London bei Asprey bestellt und sie mit allem füllen lassen, was während der Dauer seiner Reise um die Welt notwendig, nützlich, stärkend oder ganz einfach nur angenehm sein konnte.
Der erste, der sich, wenn man ihn aufmachte, als ein geräumiger Kofferschrank erwies, hatte eine komplette Aussteuer enthalten, die sowohl der gesamten Skala der klimatischen Bedingungen als auch den verschiedenen Gelegenheiten des gesellschaftlichen Lebens angepasst war, wie diese Kleiderkollektionen aus ausgeschnittener Pappe, mit denen die Kinder Schnittbogenpuppen ausstaffieren: Das ging von den Pelzstiefeln bis zu den Lackschuhen, von der Regenhaut bis zum Frack, von der Pelzmütze bis zum Querbinder und vom Tropenhelm bis zum Seidenzylinder. In dem zweiten hatten sich verschiedene Mal- und Zeichenutensilien befunden, die zur Herstellung der Aquarelle notwendig waren, bereits fertig vorbereitetes Verpackungsmaterial für die Pakete an Gaspard Winckler, verschiedene Reiseführer und Karten, Toiletten- und Pflegeartikel, von denen man damals vermuten durfte, dass es bisweilen schwierig sein würde, sie sich am anderen Ende der Welt zu besorgen, eine Notapotheke, die berühmten Dosen mit dem »ionisierten Kaffee« sowie einige Instrumente und Apparate: Fotoapparat, Fernglas, Reiseschreibmaschine.
Der dritte bot noch alles das, was erforderlich gewesen wäre, wenn Bartlebooth und Smautf, falls sie nach einem Unwetter, einem Taifun, einer Springflut, einem Wirbelsturm oder einem Aufstand der Mannschaft auf einem Wrack abgetrieben wären, auf einer einsamen Insel hätten anlegen und dort überleben müssen. Sein Inhalt entsprach, lediglich modernisiert, ganz genau dem des mit leeren Fässern beladenen Koffers, den Kapitän Nemo an einem Strand für die braven Siedler der Lincoln-Insel anlanden lässt und dessen exaktes Verzeichnis, auf einem Blatt im Notizbuch Gedeon Spiletts notiert, zusammen mit zwei allerdings fast ganzseitigen Graphiken die Seiten 223 bis 226 von L'I!e mysterieuse (Ed. Hetzel) (Die geheimnisvolle Insel) einnimmt.
Der vierte schließlich war für kleinere Katastrophen vorgesehen und enthielt - tadellos erhalten und aufs wunderbarste zu einem so geringen Umfang zusammengefaltet - ein Zelt mit sechs Plätzen mit allem Zubehör und allen Bedarfsartikeln, vom klassischen »Wassereimer aus Segeltuch« bis zur bequemen - und damals ganz neuen, denn er war beim letzten Lepine-Wettbewerb mit einem Preis ausgezeichnet worden - Fußluftpumpe über den Zeltteppich, das Doppeldach, die nichtrostenden Zeltpflöcke, die Ersatzspanner, die Daunenbetten, die Luftmatratzen, die Sturmlampen, die Trockenspiritus-Kocher, die Thermosflaschen, die stapelbaren Gedecke, ein Reisebügeleisen, einen Wecker, einen patentierten »anosmischen« Aschenbecher, der es dem unverbesserlichen Raucher ermöglichte, sich seinem Laster hinzugeben, ohne seinen Nachbarn zu belästigen, und einen Klapptisch, für den man, wenn man zu zweit war, etwa zwei Stunden brauchte, um ihn aufzubauen - oder abzubauen -, wozu man winzige Achtkantschlüssel brauchte.
Der dritte und der vierte Koffer waren fast nie gebraucht worden. Die natürliche
Neigung Bartlebooths zum britischen Komfort und die beinahe unbegrenzten Mittel,
über die er damals verfügte, erlaubten es ihm, fast jedesmal einen anständig
ausgestatteten Wohnsitz auszusuchen -große Hotels, Botschaften, Wohnungen reicher
Privatleute -, wo ihm sein Sherry auf einem Silbertablett serviert wurde und
wo das Wasser für seinen Bart sechsundachtzig Grad Fahrenheit betrug und nicht
vierundachtzig. - (per)
|
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
|
|
|
![]() ![]() |
![]() ![]() |