otenort
Die Toten scharen sich nicht an den dafür bestimmten Orten zusammen:
vielmehr sind sie über das ganze Universum zerstreut, je nach Zufall, wie es
ihnen paßt, oder aber je nachdem wie die Winde, die angeblich die Welträume
durchwehen, sie treiben. Und wenn die Erde, wie dies wahrscheinlich ist, als
einziger Ort das zur Produktion von Toten geeignete Leben beherbergt -höchste
Effloreszenz, nobelste Fäulnis, mürbe Selbsterkenntnis - dann stellt euch vor,
wie es um die Dichte der über den Kosmos verstreuten Toten bestellt sein muß:
einige Dutzend Tote pro Sonnensystem erscheint bereits als unerträgliche Anhäufung;
und welche Wahrscheinlichkeiten bestehen dann, daß man auf einen von ihnen stößt,
wenn es in unserem Sonnensystem vielleicht zehn oder hundert oder auch tausend
gibt? Und welche Wahrscheinlichkeit, Tote von solchen moralischen und intellektuellen
Qualitäten zu finden, bei denen es sich lohnte, sich mit ihnen aufzuhalten und
zu unterhalten? Und falls es auch andernorts Leben gäbe, fähig zum Tod zu reifen,
was würde das uns nützen? Gewiß würde es auch in unserer Luft von dichteren
Totenschwärmen wimmeln, die aber für uns unerreichbar, fremd und vielleicht
abstoßend wären in Sprache, Sitte, Passionen; und dies würde vielleicht die
Mühe, zwischen so vielen heterogenen Verstorbenen zu wühlen, um die wenigen
verlorenen Unsrigen her auszupicken, noch verzweifelter gestalten. - Giorgio Manganelli, Diskurs über
die Schwierigkeit, mit den Toten zu sprechen. In: G. M., An künftige Götter.
Sechs Geschichten. Berlin 1983 (zuerst 1972)
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