otenrede  Wir waren in Kephalonia im Begriff, das Grabmal Saltiels, eines fürs Vaterland gestorbenen Helden, einzuweihen, die Säule eines abbruchreifen Wohnhauses, die Eisenbeißer für drei Drachmen gekauft hatte. Und Eisenbeißer, Präsident des Komitees, hatte gerade das karierte Taschentuch weggenommen, das er auf die Säule gelegt hatte, was man Denkmalsenthüllung nennt. Alles war bestens vorbereitet, es gab sogar einen Spirituskocher für die ewige Flamme der Erinnerung. Und Eisenbeißer hat Trompete geblasen und sich das Gewehr präsentiert und dann ist er auf ein Faß gestiegen, um für den armen Saltiel die Totenrede zu halten. Und auf einmal fallen alle Anwesenden in Ohnmacht! Onkel Saltiel stand vor uns! Und lebendig! Sie können sich unsere Freude vorstellen und die Wut Eisenbeißers, der seine Totenrede nicht mehr halten konnte! Er hat sie trotzdem halten wollen! Und Saltiel wollte ihn daran hindern! Es kam zu großen Diskussionen. Viele klatschten Saltiel Beifall, doch die Freunde Eisenbeißers pfiffen Saltiel aus, weil er nicht tot war. Saltiel wollte erklären, warum er nicht tot war. Da aber ein Riesenspektakel herrschte, ist Saltiel wütend geworden und hat geschworen, daß er nie erklären würde, warum er lebendig sei und nicht tot. - (eisen)

Totenrede (2)  Die ansprache des diktators hatte folgenden wortlaut: — Geliebtes volk, wir stehen vor der leiche eines mannes, der nicht tot ist. So gross waren seine verdienste um das vaterland, dass dieser leichnam lebt. Wem von euch klingt nicht noch seine stimme in den ohren? Ich glaube, ihn zu hören, so wie er mich in diesen feierlichen augenblicken hört. (Eine glocke ertönt.) Hört ihr diese glocke? Es ist seine stimme, die mir aus der ewigkeit antwortet und mir sagt, dass ich recht habe, dass er mir gerne zuhört und dass ich fortfahren möge. Ich fahre fort. Mir scheint, meine herren, dass ich den warmen hauch seiner stimme fühle, seinen mit worten parfümierten atem. (Blumenduft breitet sich aus, der zu den nasen der zuhörer steigt.) Riecht ihr den blumenduft, der just in diesem augenblick zu uns dringt? Er ist es, dieser leichnam, der sich für meine worte bedankt und sie preist, indem er sie wirklichkeit werden lässt. (Der redner, der den blumenduft hervorbringt, bewegt sich unruhig in der menge, er fühlt, dass man in sein gebiet eingedrungen ist und erhebt gereizt die augen.) Jener duft sagt mir, dass ich fortfahren möge, und so fahre ich fort. Der mann, den wir jetzt in dieser erde begraben, damit sein andenken in uns desto lebendiger sei, war ein aussergewöhnlicher mensch. Ein mann von umfangreichem wissen, von grosser kultur. Ich glaube ihn zu hören. Ach, seine gewaltigen reden! Wieviel weisheit steckte in ihnen! Niemals sprach er vom jahrhundert des Epaminondas ohne an Perifles zu erinnern, nie von Achilles ohne sogleich der gerechtigkeit erwähnung zu tun; wenn er von Aristides sprach, wusste er den Ostrakismos einzuflechten, wenn man einem hund den schwanz abschnitt, erzählte er stets von Themistokles, und wenn jemand des landes verwiesen wurde, vergass er nicht den namen des Alkibiades. In welchen färben vermochte seine magische beredsamkeit uns die schlacht von Lepanto zu schildern, in der Shakespeare einen arm verlor! Und die eroberung von Jerusalem, bei der Milton die augen einbüsste; und den Rückzug der Zehntausend, auf dem Tasso keinen einzigen mann beklagte und Nelson einen ehrenvollen tod mit seinen heldischen Sizilianern fand! Wieviel erfahren, gesehen und beobachtet hatte dieser mann, den wir heute beweinen! In seiner jugend besuchte er in Rom die berühmten pyramiden, die gleichen pyramiden, deren jahrhunderte Karl V. seinen soldaten vorzählte. In Berlin besuchte er das grab Napoleons, in Chile den Cerro Santa Lucia, und in Notre-Dame de Madrid betete er zwei vaterunser für die seele von Romulus und Remus. Den Dom und die Akropolis von Paris kannte er auswendig. Desgleichen die katakomben von Barcelona. Seine beschreibung des hauses von El Greco, mitten in Kairo, wie es sich in den wassern der Themse spiegelt, hat unsterblichkeit erlangt. Ja, meine herren, alles, was über die lippen dieses bewundernswerten menschen kam, wird im gedächtnis seiner landsleute haften bleiben bis zum ende aller zeiten und dem tage unserer geburt. - Hans Arp, Vicente Huidobro: Der gestiefelte Kater und Sindbad der Seefahrer oder Badsint der Sauführer. Nach (huarp)

Totenrede (3)  Nach einer Weile setzte Johnny sich im Bett auf und fing langsam an zu schimpfen; jedes Wort kauend, um es dann wie einen Kreisel herauszuschleudern, fing er an, die für die Schallplattenaufnahme von Amorous Verantwortlichen zu beschimpfen, ohne jemanden anzusehen, doch uns alle wie Insekten aufspießend, mit nichts als der unglaublichen Obszönität seiner Worte, und so hat er zwei Minuten lang alle beschimpft, die bei Amorous dabei waren, angefangen mit Art und Delaunay, bis zu mir (obgleich ich doch gar nicht...) und aufhörend mit Dédée, Christus, dem Allmächtigen und der Hure, die uns alle geboren hat. Und im Grunde war dies, dies die Totenrede für Bee, seine Tochter, die in Chicago an Lungenentzündung gestorben war.    - Julio  Cortázar, Der Verfolger. In: J. C., Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am Main 1998
 
 

Begräbnis Reden

 

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