odesfälle
Anselm Holland kam vor vielen Jahren nach Jefferson. Woher,
das wußte keiner. Aber er war damals jung und ein gescheiter Kopf oder
doch mindestens von gescheitem Auftreten, denn es waren noch keine drei
Jahre verstrichen, da hatte er die einzige Tochter eines Mannes geheiratet,
der achthundert Hektar des besten Bodens in unserm Land besaß, und er siedelte
ins Haus seines Schwiegervaters über, wo ihm seine Frau zwei Jahre später
Zwillinge gebar und wo noch ein paar Jahre später der Schwiegervater starb
und seinem Schwiegersohn den uneingeschränkten Besitz des Gutes überließ,
das auf den Namen seiner Frau lautete. Doch sogar schon vor jenem Ereignis
hatten wir Jeffersoner ihn ein bißchen reichlich laut von ›seinem Land‹
und >seinen Ernten< sprechen hören, und alle, deren Väter und Großväter
hier aufgewachsen waren, betrachteten ihn etwas kalt und mit schiefen Blicken
und hielten ihn für einen schamlosen Menschen und (nach dem, was sich sowohl
weiße wie Neger-Pächter und andere Leute über ihn erzählten, die mit ihm
zu tun hatten) auch für einen gewalttätigen Mann. Doch aus Rücksicht auf
seine Frau und aus Ehrerbietung vor seinem Schwiegervater behandelten wir
ihn höflich, wenn auch nicht achtungsvoll. Als daher seine Frau ebenfalls
starb, während die Zwillingssöhne noch Kinder waren, glaubten wir, er sei
daran schuld und ihre Gesundheit sei durch die grobe Gewalttätigkeit eines
schlechterzogenen Fremdlings untergraben worden. Und als seine Söhne volljährig
wurden und zuerst der eine und dann der andre sein Elternhaus ein für allemal
verließ, da waren wir nicht überrascht. Und als man ihn vor einem halben
Jahr tot auffand, den Fuß unlösbar im Steigbügel des gesattelten Pferdes,
das er geritten hatte, und den Körper ziemlich übel zugerichtet, weil das
Pferd ihn offenbar durch eine Einzäunung geschleift hatte (der Rücken und
die Flanken des Pferdes wiesen noch Anzeichen der Schläge auf, die er ihm
in einem seiner Wutanfälle versetzt hatte), da trauerte ihm keiner von
uns nach, denn kurze Zeit davor hatte er etwas begangen, was für die Männer
unsrer Stadt und Zeit und Lebensanschauung die unverzeihlichste Sünde darstellte.
Am Tage, als er starb, erfuhren wir, er habe die Gräber der Familien-Ruhestätte
aufgebrochen, in der die Angehörigen seiner Frau beigesetzt waren, unter
anderen auch das Grab, in dem seine Frau nun dreißig Jahre lang gelegen
hatte. Jetzt wurde der verrückte, von Haß verzehrte Mann inmitten der Gräber
beerdigt, die er zu schänden versucht hatte, und zur gegebenen Zeit wurde
sein Testament gerichtlich bestätigt. Wir nahmen den Inhalt des Testaments
ohne Überraschung zur Kenntnis. Wir wunderten uns gar nicht, daß er selbst
über das Grab hinaus denen, die allein er jetzt noch kränken und verletzen
konnte, einen letzten Hieb versetzt hatte: seinem überlebenden Fleisch
und Blut. - William Faulkner, Rauch. In: W. F., Der Springer greift
an. Kriminalgeschichten. Zürich 1975 (detebe 86, zuerst 1949)
Todesfälle (2) Würde Dr. Bellamy zum Spiel kommen? Es war seine Sache. Wenn es einen Toten im Hause gibt, erklären die Frauen zuerst mit jämmerlicher Stimme: »Nein. Versuchen Sie es nicht. Ich könnte nicht einen Bissen herunterkriegen. Ich würde lieber sterben...«
Dann, etwas später, sitzen sie bei Tisch und wollen vom Nachtisch zweimal
haben. Wenn sie nicht zum Schluß gar Küchenrezepte mit ihren Schwägerinnen
austauschen. - Georges Simenon, Maigret nimmt Urlaub. München
1973 (Heyne Simenon-Kriminalromane 17, zuerst 1947)
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