Todeserwartung   Versuchen wir also, irgend etwas zu verstehen; es ist nötig, es ist dringend, daß ich eine Sterbeweise finde. Beginnen wir von vorn. Mir ging nämlich durch den Kopf: Was unterscheidet die Erwartung (des Todes) bei irgendeinem Menschen von derjenigen eines zum Tode Verurteilten, wie ich einer bin? Offensichtlich, so gab ich mir nach reiflicher Überlegung zur Antwort, der Umstand, daß ersterer den Zeitpunkt und die Art seines Todes nicht kennt; folglich genügt es, daß ich mich in den Zustand der Unkenntnis und so weiter versetze, um das Grauen loszuwerden. Also habe ich meinen Anwalt angewiesen, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, jedoch ohne mich darüber zu informieren. Tatsächlich weiß ich nun nicht, ob mein Gnadengesuch abgelehnt wurde, beziehungsweise wann, geschweige denn auf welch genaue Weise die Hinrichtung stattfinden soll: denn hat man in diesem Staat auf dem elektrischen Stuhl zu sterben, könnte es der Anwalt immerhin erreichen, daß ich in einen anderen Staat verlegt werde, in welchem Fall ich dann gehenkt oder wer weiß wie sterben würde. Weshalb ich eigentlich beruhigt sein müßte.  - Tommaso Landolfi, Die Stumme. In: T. L., Die Stumme. Drei Erzählungen. Reinbek bei Hamburg 1991
 
 

Tod Erwartung

 

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