Tarot   Weißmanns Tarot liegt besser als das von Slothrop. Hier sind die wahren Karten, genauso, wie sie aufgedeckt wurden:

Signifikator:    Schwert-Ritter
Gedeckt von:    Der Turm
Gekreuzt durch:    Schwert-Königin
Darüber:    Kelch-König
Darunter:    Schwert-As
Davor:    Vier-Kelche
Dahinter:    Vier-Münzen
Das Selbst:    Münzen-Bube      -
Das Haus:    Acht-Kelche
Hoffnungen und Ängste:    Zwei-Schwerter
Was kommen wird:    Die Welt

Er selbst erscheint, auf semer ersten Karte, in Stiefeln und Insignien, schimmernd wie der Reiter auf dem schwarzen Roß, über die Heide, über die riesigen Hünengräber heransprengend in einem Galopp, den weder er noch sein Pferd zu kontrollieren vermögen, die schwarzgesichtigen Schafe auseinanderjagend, während dunkle Wacholderbüsche, träumerisch und todesverliebt, in einer Parallaxe von ungehetztem Fatalismus quer über seinen Weg ziehen, herrschend gleich Monumenten über den grün- und lohgefärbten Abschied des Sommers, über das staubige Tiefland und endlich die feldgraue See, eine prärienweite See, die sich zu Purpur dort verdunkelt, wo das Licht der Sonne durchbricht, große Kreise wie Scheinwerferspots auf einem Tanzparkett.

Er ist der Vater, den du nie ganz zu töten schaffst. Die ödipale Situation in der Zone in diesen Tagen ist entsetzlich. Es gibt keine Würde. Die Mütter sind vermännlicht worden zu abgetakelten alten Geldsäcken ohne den geringsten sexuellen Reiz, und immer noch sind da die Söhne, immer noch Gefangene in Lähmungen von Lust, für die es vierzig Jahre zu spät ist. Die Väter haben heute keine Macht und hatten sie nie, doch da wir sie vor vierzig Jahren nicht zu töten vermochten, sind wir jetzt zur gleichen Passivität, zu den gleichen masochistischen Phantasien verdammt, denen auch sie sich im geheimen hingegeben haben -sind, schlimmer noch, verdammt, in unserer Schwäche Männer der Macht darzustellen, welche unsere eigenen Kinder hassen, deren Platze einzunehmen sie träumen und an denen sie genauso scheitern müssen ... So dient Generation um Generation von Männern, die in Schmerz und Passivität verliebt sind, ihre Zeit in der Zone ab, schweigend, umwittert von abgestandenem Sperma, zu Tode verängstigt vor dem Sterben, süchtig nach Tröstungen, die sie von anderen kaufen, egal wie nutzlos, häßlich oder hohl, und willens, sich ihr Leben von Männern definieren zu lassen, deren einziges Talent im Tod besteht.

Unter den 77 Karten, die kommen konnten, «deckt» Weißmann, beschreibt also seine augenblickliche Lage, der Turm. Es ist eine rätselhafte Karte, zu der jeder eine andere Theorie hat. Sie zeigt einen Blitzstrahl, der in ein hohes, phallisches Gebäude einschlägt, und zwei Figuren, eine davon mit einer Krone, die herunterstürzen. Manche sehen einfach eine Ejakulation und lassen es damit bewenden. Andere erkennen ein gnostisches oder katharisches Symbol für die Kirche von Rom, was so verallgemeinert werden kann, daß es jedes System bedeutet, das keine Häresien duldet und daher früher oder später fallen muß. Wir wissen mittlerweile, daß auch die Rakete damit gemeint ist.

Die Mitglieder des Ordens von der goldenen Morgendämmerung glauben, daß der Turm den Sieg über äußerlichen Glanz und eine göttliche Vergeltung repräsentiert. Wie auch Goebbels, jenseits aller professionellen Propaganda, an die Rakete als Vergelterin glaubte.

Im kabbalistischen Baum des Lebens verbindet der Weg des Turmes die Sefira Nezach, den Sieg, mit Hod, dem Ruhm oder dem Glanz. Daher die Interpretation des Ordens. Nezach ist Feuer und Emotion, Hod ist Wasser und Logik. Im Körper Gottes sind diese beiden Sefirot die Schenkel, die Pfeiler des Tempels. Sie vereinigen sich in der Sefira Jessod, den Geschlechts- und Ausscheidungsorganen.

Doch jede der Sefirot wird auch von ihren eigenen Dämonen oder Qlippoth heimgesucht. Nezach von den Ghorab Tzerek, den Raben des Todes, und Hod von den Samael, den Giften Gottes. Keiner hat die Dämonen der beiden Ebenen befragt, aber vielleicht existiert hier einfach eine winzige Anfälligkeit für das Gefühl des Fallens, für jene Art von äußerst tiefem und unverhältnismäßigem Sturz, die wir aus Träumen kennen, mehr durch den freien Raum als in einem Zwischenraum der Dinge. Obwohl jeder der diversen Qlippoth nur das ihm zugeteilte Böse wirken kann, scheinen die Aktivitäten auf dem Weg des Turms, zwischen Nezach und Hod, zum Entstehen eines völlig neuen Dämons geführt zu haben (wie bitte? ein dialektisches Tarot? NaaberklardochLeute! Und wenn ihr nicht glaubt, daß es marxistisch-leninistische Magie gibt, dann denkt doch bitte noch mal drüber nach!). Die Raben des Todes haben von den Giften Gottes gekostet ... in Dosierungen, die klein genug waren, um sie nicht krank zu machen, sondern sie, ganz wie der Fliegenpilz, in einen äußerst eigenartigen Bewußtseinszustand zu versetzen ... Sie tragen keinen offiziellen Namen, aber sie sind die schützenden Dämonen der Rakete- Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

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