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Gustav Radbruch, Heinrich Gwinner: Geschichte des Verbrechens. Frankfurt
am Main 1990 (Die Andere Bibliothek 62, zuerst 1951)
Zwischenräume
(2)
Der Lattenzaun Es war einmal ein Lattenzaun, und nahm den Zwischenraum heraus Ein Anblick gräßlich und gemein. |
- Christian Morgenstern
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(3) Die Russen
könnten in der grimmigen Kälte nicht leben, wenn
es die Stuppe oder Ofenhäuser nicht gäbe. Reiche Edelleute lassen aus Erbarmen
mit dem Volk viele Ofenhäuser bauen, so wie die Adligen bei uns Spitäler
errichten lassen. Zu diesen geheizten Häusern haben alle Leute jederzeit
Zutritt. Die Kälte ist so durchdringend, daß einer, der über Land geht,
sei es geschäftehalber oder sonst aus einem Grunde, unterwegs beinahe erfriert,
sogar wenn er in jedem Ofenhaus einkehrt und sich erwärmt. Die Entfernung
zwischen den Ofenhäusern beträgt ungefähr sechzig Schritt. Durch und durch
warm verläßt man eine Stuppa, doch bis man die nächste erreicht, friert
man am ganzen Körper. Dort wärmt man von neuem seine Glieder, macht sich
wieder auf den Weg bis zum nächsten Haus und so immer weiter, bis man daheim
oder am Ziel seiner Reise anlangt. Alle Leute legen die Strecke von einer
Stuppa zur andern in größter Eile zurück, um weniger unter der eisigen
Luft zu leiden. Öfters kommt es vor, daß einer ungenügend gekleidet ist
oder aus Altersschwäche sich zu langsam bewegt, oder daß einer eine weniger
kräftige Gesundheit hat als der andere, oder daß er zu weit weg wohnt;
in solchen Fällen gelingt es einem Manne nicht, das nächste Haus zu erreichen,
und steif vor Kälte fällt er zu Boden.
- (
polo
)
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(4) Ich
bin der Zwischenraum zwischen dem, was ich
bin, und dem, was ich nicht bin, zwischen dem, was ich träume, und dem,
was das Leben aus mir gemacht hat, der abstrakte und leibliche Mittelwert
zwischen Dingen, die nichts sind, da ich ebenfalls nichts bin. Welche Unruhe,
wenn ich fühle, welch Unbehagen, wenn ich denke, welche Nutzlosigkeit,
wenn ich will! - Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters
Bernardo Soares. Zürich 2003
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(5) Eugen merkte, wie
schon oft, daß er sich nirgends zugehörig fühlte. Er versuchte herauszubekommen,
wie seine Schwester war, erinnerte sich, daß einmal einer zu ihr gesagt hatte,
sie habe eine Gosche wie ein Bettelmensch, hörte sie über einen Film sagen,
der sei knallhart realistisch, und dabei anerkennend prusten, denn »knallhart«
und »realistisch« waren für sie ein hohes Lob. Andere Leute beurteilte sie abschätzig
und sagte von einem befreundeten Arzt, der Mittwoch nachmittags bei ihr Kaffee
trank, er sei ein primitiver Mensch und leihe sich vom Emil nur Kriminal- und
Sexromane aus. (Sie selbst aber las keine Bücher.) Emil hatte früher Bücher
gelesen, doch seit er einen Fernsehapparat besaß, reizten ihn nur noch illustrierte
Blätter.
Schmerzhaft das Ganze, aber so gehörte es dazu (zum Leben
halt). Immer blieb ein Spalt, ein Zwischenraum wie eine
Wunde offen. - Hermann Lenz, Der Wanderer. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1986)
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(6) Carl Barks gilt als der berühmteste Zeichner, der je für Walt Disney gearbeitet hat.
ZENSIERT: Carl Barks, der durch seine Geschichten über Donald, Dagobert und andere sehr bekannt wurde, hatte früher erotische Zeichnungen für den Playboy angefertigt.
In einer seiner ersten Donald-Duck-Stories, "Helden und Haie", ließ er Donald als Bademeister eine junge Frau vor einem Hai retten. Da Barks viele erotische Zeichnungen angefertigt hatte, war die Entendame in seiner Geschichte mit einem großen Brustumfang ausgestattet!
Als er die Geschichte bei seinem Redakteuer abgegeben hatte, wurde ihm zur Auflage gemacht das der Busen der Hauptdarstellerin entfernt werden muss, wenn die Geschichte gedruckt werden soll!
Also entfernte Barks im nachhinein den Busen. Das fällt besonderst in einem Bild am Ende der Geschichte auf: Die weibliche Ente umarmt Donald und küsst ihn. Da der Busen entfernt wurde ist nun zwischen den beiden Figuren ein Freiraum entstanden!
Auf dem ersten Bild sehen sie nachgestellt, wie das Original damals in
etwa ausgesehen hat. Auf dem zweiten Bild sehen sie den Freiraum
zwischen den Figuren, der durch das Retuschieren des Busens entstand! -
www.comiczensur.de
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(7) Ein Stadium beträgt
125 Schritte oder 625 Fuß. Posidonius sagt, die Höhe, in welcher Nebel,
Wind und Wolken sich befinden,
sei von der Erde weniger als 40 Stadien entfernt; von da an sei die Luft rein,
klar und von ungetrübter Helle. Von der Region der Wolken soll der Mond
2000000 und von da die Sonne 5000000 Stadien weit sein.
Dieser ungeheuere Zwischenraum sei die Ursache, daß die Erde nicht verbrenne.
- (plin
)
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(8) Man glaube auch
nur nicht, der Mensch sei der älteste oder der letzte der Weltbeherrscher, oder
Leben und Substanz könnten aus sich heraus bestehen. Die Alten waren,
die Alten sind und die Alten werden sein. Nicht in den Räumen,
die uns bekannt sind, sondern zwischen ihnen gehen sie gelassen und unbeirrt
umher, ohne Dimension und für unsere Augen unsichtbar. Yog-Sothoth kennt
das Tor. Yog-Sothoth ist das Tor. Yog-Sothoth ist Schlüssel und
Wächter des Tores. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, alles ist Yog-Sothoth.
Er weiß, so einst die Alten herausbrachen und wo Sie wieder herausbrechen
werden. Er weiß, wo Sie die Felder der Erde beschritten haben, wo Sie
sie noch heute beschreiten und warum niemand ihre Schritte wahrnehmen kann.
An ihrem Geruch kann der Mensch Sie zuweilen um sich wissen, aber Ihr Aussehen
kann kein Mensch kennen, nur in den Zügen derer, die Sie auf Erden gezeugt haben;
diese besitzen mannigfache Gestalt vom Ebenbild des Menschen bis zu jener unsichtbaren
Masse ohne Anblick und ohne Substanz, die Sie ist. Unsichtbar und üble Gerüche
verbreitend wandern Sie an verlassenen Orten umher, wo die Worte ausgesprochen
und die Riten in Ihre Zeiten herübergerufen wurden. Der Wind heult mit Ihren
Stimmen, und die Erde grollt durch Ihr Bewußtsein.
Sie beugen Wälder und zermalmen Städte, wenn auch weder Wald noch Stadt die
Hand wahrnimmt, die zuschlägt. Kadath in der kalten Einöde hat Sie gekannt,
und welcher Mensch kennt Kadath? Die Eiswüsten im Süden und die versunkenen
Inseln des Ozeans besitzen Steine, in die Ihr Siegel eingegraben ist,
wer aber hat je die tiefe eisige Stadt oder den versiegelten Turm erblickt,
der mit Seetang und Entenmuscheln geschmückt ist? Der Große Cthulu ist
Ihr Vetter, doch kann er Sie nur schemenhaft erkennen. Iä!
Shub-Niggurath! An ihrem Geruch sollt ihr Sie
erkennen. Ihre Hand ist an eurer Kehle. -
H. P. Lovecraft, Das Grauen von Dunwich. In: Cthulhu. Geistergeschichten.
Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1929)
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(9) Ich bin gegen
‹Verbindungen›. 'ch hatte ma gelesen — wenn ich nich irre, soga bei einem von
den Katholen finanziertn Astro= Nom' — daß es Einzelgänger=Sonnen
im Räume geben solle, die sich lebenslänglich in den herrlichen Öden
zwischen den Galaxien aufhalten sollen; (die ‹Menschenverächter› unter Denen,
sprechen demnach vom ‹Galaxien=Pöbl› !) : da sähe man also, (vorausgesetzt,
Einem würde Das-glück), nur Mond & einpaar Planetn. In einer schmal'n, zellofan=imaginären
Bande; meinethalbm 'n Paa davon farbich, an Der=Ihrem Himmel verteilt. Kein
Wort von ‹Sternbildern›; wie sie bey=uns, backfischdürr & schpizzbibbernd,
abmz an sämtlichen Horizontn hokkn; (‹un=abgetrocknet) fiel mir noch ein, schternbadeanschtaltich
: da müßte's arg schön sein, auf so einem SITARA ! Strengste Lichter=Dreiecke
wären da möglich : MOND 1 = HOFLAMPE DÜSTERHENN = PLANET ‹ORJE› : Schluß!-).
-
Arno Schmidt, Caliban über Setebos. Zürich 1987 (zuerst 1964)
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(10) In dem Augenblick,
da man zwei Dinge erblickt und sich des Zwischenraums zwischen ihnen bewußt
wird, muß man in diesen Zwischenraum eindringen.
Wenn die zwei Dinge gleichzeitig vernichtet werden, dann glänzt
in diesem Zwischenraum die Wirklichkeit. - Vijnana
Bhairava, nach (
cort2
)
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(11) Zeit in der
Anderswelt vollzieht sich, »between one eye-blink and the next«, was zu
übersetzen wäre: zwischen zwei Augenblicken.
Wenn wir dies wissen, verstehen wir auch, warum ein gefangener Lepracaun
sofort entwischt, wenn man ihn auch nur kurz aus den Augen läßt. Zeit der
Anderswelt ist gewissermaßen etwas, was an den Rändern, den Bruchstellen
oder in den Zwischenräumen irdischer Zeit vor sich geht. Es ist Seelenzeit,
Moment absoluter Wahrnehmung, in dem man so intensiv dem Wesen der Dinge
nahe ist, es begreift und erfährt, daß die Eigenschaften der Uhrzeigerzeit
außer Kraft gesetzt sind. Daraus ergibt sich auch, daß einmal die Zeit
in der Anderswelt ungemein viel langsamer verstreichen kann als in der
Welt der Sterblichen, ein andermal wiederum aber auch schneller. Immer
aber ist die Anderszeit des Feenlandes auf irgendeine Weise mit der Zeit
der realen Welt verknüpft. Erst in der Unterscheidung von dieser wird sie
zu dem, was sie ist: Zeit des Wunders, des Unerhörten.
Der Mann, der den Feenring betritt, wird genau nach einem Jahr und einem
Tag Zeit in der Welt der Sterblichen wieder gerettet. Die Feen zahlen nach
einem Zeitabschnitt von sieben Jahren irdischer Zeit einen Tribut an die
Hölle. - (anders)
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(12) »Der größte Zauberer«,
schreibt denkwürdig Novalis, »würde der sein, der sich zugleich so bezaubern
könnte, daß ihm seine Zaubereien wie fremde selbstmächtige Erscheinungen vorkämen.
Könnte das nicht mit uns der Fall sein?« Ich glaube, daß es sich so verhält.
Wir (die ungeteilte Gottheit, die in uns wirkt) haben die Welt geträumt. Wir
haben sie resistent geträumt, geheimnisvoll, sichtbar, allgegenwärtig im Raum
und fest in der Zeit; aber wir haben in ihrem Bau schmale und ewige Zwischenräume
von Sinnlosigkeit offengelassen, damit wir wissen, daß sie falsch ist. -
Jorge Luis Borges, Kabbala und Tango. Essays. Frankfurt am Main 1991
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(13) Vom Ankaios wurde
erzählt, er hätte die Weissagung erhalten, nie würde er vom Saft seines Weingartens
trinken. Er war damals schon zu Hause auf Samos, hatte schon einen Weingarten
gepflanzt, und die erste Weinlese wurde eben eingebracht. Er ließ den Wahrsager
holen, preßte mit der Hand den Saft einer Traube in den Becher und hob ihn an
die Lippen. Da sprach der Wahrsager das berühmte Wort aus: »Vieles steht noch
zwischen dem Mund und des Bechers Rand!« Ankaios' Lippen waren noch nicht benetzt,
als Rufe ertönten, ein Eber verwüste seinen Weingarten.
Er ließ den Becher mit dem Most stehen, rannte hinaus, um das Tier zu erlegen,
und wurde von ihm getötet. - (kere)
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