chwärmer Sie
blickten zu den Sternen auf. Es nahm einer ein Fernrohr und blickte lange und
oft in den Himmel, ehrerbietig und Gott lobend. Er verbrachte Jahrzehnte seines
Lebens damit. Oben in dem dunklen Raum hingen die herrlichen Trauben, die Gestirne.
Und siehe! Sie drehten und bewegten sich. Auch die Erde, die Erde dabei. Sie
drehte sich mit den anderen. Sie drehte sich um die Sonne. Die Sonne, der große,
heiße Stern, stand still. Er wagte es lange nicht zu glauben. Es war eine Erschütterung.
Er schrieb es auf, bewundernd und anbetend. Das Buch widmete er dem Papst. Als
er auf dem Sterbebette lag, freute er sich, man brachte ihm das erste Exemplar
seines Buches. Er hieß Nikolaus Kopernikus, ein Pole. Er starb mit siebzig Jahren.
Der Himmel wurde der Mittelpunkt aller ihrer Geheimnisse. Sie waren Gefangene gewesen, die an Ketten gelegen hatten, und wie sie sich der Ketten entledigten, schleppten sie sich durch die Tür, betrachteten die Umgebung, in der das Haus lag, in dem sie hatten schmachten müssen, dann erst schleppten sie sich zurück und blickten sich auch im eignen Haus um. Nach Kopernikus kam einer, der sah oben Planeten, sie waren nur Planeten, die festen Sterne nur feste Sterne, ein Stern umgab sich mit Trabanten, der Saturn hatte einen Ring, der Venusstern bewegte sich in verschiedenen Abschnitten. Es war dem Mann nicht zweifelhaft, daß sie alle aus sich liefen, von keiner äußeren Kraft, keinem fremden Willen zu ihrer Bewegung veranlaßt wurden, er konnte mit Zahlen ihre Bewegung und ihre Bahn beschreiben. Der Mann hieß Galileo Galilei. Das Glück war ihm nicht so hold wie Kopernikus. Sie zwangen ihn in Rom zu gestehen, er vermute nur, daß die Dinge so seien. Zuletzt hielt man ihn in einer Villa bei Florenz unter Aufsicht, damit er schwieg.
Es rauschte ein trunkener Schwärmer auf, und was die beiden andern verhehlt
hatten, gab er in schäumenden Worten von sich. Er wurde in Rom auf dem Campo
dei Fiori verbrannt, das Kruzifix, das sie ihm vor dem Tode hinhielten, blickte
er nicht an. Der Schwärmer war früh zu den Dominikanern in die Lehre gegangen.
Was der Pole Kopernikus gesagt hatte, nahm er auf, es war ihm wahrer als das
Wort der Heiligen und Kirchenväter, er mußte sein Leben lang wandern, nach Genf,
Paris, die Kirche jagte ihn, nach England, aber nicht einmal die, die sich von
der römischen Kirche abgewandt hatten, wollten etwas von den neuen Gedanken
wissen. Altfromme verfolgten ihn wie Neufromme, die Protestanten. Und als er
nach Venedig kam, machte sich ein freundlicher junger Mann an ihn heran, Mocenigo,
gebärdete sich treuherzig, es war aber ein Abgesandter der Inquisition und lieferte
ihn aus. Als seine geistlichen Richter ihm das Todesurteil verkündeten, sagte
er: «Ihr habt größere Furcht beim Aussprechen des Urteils als ich beim Anhören.»
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Alfred Döblin, Amazonas. Romantrilogie. München 1991 (entst. 1935-37)
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