chneehöhle
Ich sehnte den Tag herbei, an dem der Schnee meiner
Ansicht nach — manchmal irrte ich mich in der Schätzung — hoch genug lag, daß
ich mich ganz allein, mit einem Sack und einem spitzen Stecken bewaffnet, zu
einer Wiese begeben konnte, die in einiger Entfernung von unserem Dorf lag.
Es handelte sich um eine verstohlene Arbeit. Dort wollte ich ein Loch ausheben,
das gerade groß genug war, um einzudringen. An der Oberfläche durfte man nur
eine runde Öffnung sehen, so klein wie möglich, und sonst nichts. Ich hatte
vor, den Sack zuhinterst in der Schneehöhle auszubreiten, und ich stellte mir
diesen Winkel sehr warm und dunkel vor; ich glaubte, dort drinnen eine sehr
große Freude erleben zu müssen. Oft erlebte ich das Vergnügen in der Phantasie
voraus, und ich verbrachte meine Zeit damit, mir das Vorgehen bei dem Bau vorzustellen.
Im Geiste vollführte ich die ganze Arbeit in allen Einzelheiten; jede Bewegung
wurde überlegt, und ich malte mir aus, was für Vorsichtsmaßnahmen ich ergreifen
müsse, damit der Bau nicht etwa einstürze. Es war mir eine Wonne, meine Schneehöhle
vollständig eingerichtet zu sehen und in Gedanken dort einzutreten. Am liebsten
hätte ich darin den ganzen Winter allein verbracht, und mit Bedauern dachte
ich daran, daß ich ja zum Essen und Schlafen heimkehren müsse. Ich muß sagen,
daß sich trotz all meinen Bemühungen - wahrscheinlich lag es auch an den ungünstigen
äußeren Bedingungen - mein Wunsch nie verwirklichte.
Als ich zur Schule zu gehen begann, war Sibirien das erste Land, das mich
wunderbar dünkte. Dort sah ich mich inmitten einer unendlichen Ebene, die grauer
Schnee bedeckte. Nie schien die Sonne, und es war auch immer kalt. Auf der einen
Seite, ziemlich weit von mir entfernt, war die weite Fläche von einem Tannenwald
begrenzt, einem eintönigen und dunklen Wald. Ich betrachtete
die Ebene und den Wald durch das kleine Fenster einer Isab (diese Bezeichnung
war für mich wesentlich), in der ich mich aufhielt, und wo es sehr warm war.
Das war alles. - Alberto Giacometti, nach: Als die Surrealisten noch recht hatten. Texte
und Dokumente, Hg. Günter Metken. Stuttgart 1976
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