Das ist nun einer, mit dem ich zusammenleben soll. Ach, ein gefährlicher
Gedanke! Ich versuchte zu verstehen, was er murmelte. Ich hob ihn an den Schultern
etwas in die Höhe, doch er entglitt meinen Händen wieder, und sein Kopf fiel
in den Lehm zurück, als ob gar keine Knochen da wären. Dabei wäre ich zu meinem
Schrecken fast über ihn gefallen. Ich ging wieder auf meinen Posten und besah
meine Hände voller Ekel. Es klebte etwas von dieser breiigen Masse daran, aus
der dieser Schläfer zu bestehen schien. Ich überlegte: Wenn er nun so laut geredet
hätte, daß die anderen davon erwacht wären und wenn er gar - denn was weiß ich
von ihm? - irgend etwas von dem verkündet hätte, was vorher war, was hätte ich
dann tun müssen? Und wenn er es morgen täte? Dies Gesicht war wie ein kaum gekneteter,
noch nicht gebackener Teig. Ein völlig fremdes Schicksal konnte sich seiner
bemächtigen und daraus etwas machen, was sich nicht berechnen ließ. Es konnte
ein Bruder daraus werden oder ein höhnischer Widersacher. Aber was auch daraus
geworden wäre, er wäre es nicht selbst gewesen. Auch wenn er mich beseitigt
hätte, würde es nur dies Fremde gewesen sein, was als eine Hefe in diesen Teig
gefahren wäre. Ich hatte Angst, gewiß! Aber nicht so sehr meinetwegen. Sollte
es wieder mit einem Mord beginnen? Und nach der Tat wäre der Teig in sich zusammengefallen?
- Hans Erich Nossack, Nekyia. Bericht
eines Überlebenden. Frankfurt am Main 1961 (BS 72, zuerst 1947)
- (
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Schläfer (3) »Zum Teil haben die Toten das Böse der Nacht verschuldet, zum anderen Teil Schlaf und Liebe. Für was ist der Schläfer nicht alles verantwortlich! Welcherart Umgang pflegt er, und mit wem? Mit seiner Nelly legt er sich nieder und findet sich schlafend im Arm seines Gretchens wieder. Tausende kommen an sein Bett, ungebeten. Und dennoch: wie erkennt man die Wahrheit, wenn sie nicht unter den Anwesenden weilt? Mädchen, die der Schläfer niemals begehrt hat, streuen Ihre Gliedmaßen um ihn unter des Morpheus Fuchtel. So sehr ist der Schlaf zur Gewohnheit geworden, daß mit den Jahren der Traum seine eigenen Grenzen verzehrt und das Geträumte ihm zu Heber Gewohnheit wird; ein Gelage, wo Stimmen sich mischen, einander lautlos bekämpfen. Der Schläfer ist Eigentümer eines unerforschten Landes. Er geht eigenen Geschäften nach, im Dunkel - doch wir, seine Partner, die wir in die Oper gehen, die wir dem Klatsch der Freunde im Café zuhören, die Boulevards entlangschlendern oder eine schweigsame Naht nähen, können uns das nicht leisten, wahrhaftig, nicht einen Zentimeter davon. Und wollen wir es auch mit unserem Blut bezahlen: es sind da weder Theke noch Kasse. Du, die du stehst und herniederblickst auf eine, die im Schlafe liegt - du kennst sie, die horizontale Angst, Angst unerträglich. Denn der Mensch trifft auf sein Schicksal senkrecht. Er wurde nicht geschaffen, um jenes andere zu erfahren, und nicht als Resultat eines anderen Verschwörung.
Man schlägt die Leber aus der Gans und macht pâté daraus: man zerstampft
die Muskeln eines Menschen cardia und macht einen Philosophen.« - Djuna Barnes,
Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1936)
Schläfer (4) Jegoruschka begab sich zur Kalesche
und begann die Schlafenden anzuschauen. Des Onkels Antlitz zeigte noch immer
den Ausdruck geschäftiger Trockenheit. Da Kusmitschow ein Fanatiker seiner Geschäfte
war, dachte er sogar im Schlaf und beim Gebet in der Kirche, wenn das »Welcher
die Cherubim« gesungen wurde, an seine eigenen Angelegenheiten; er konnte diese
auch nicht auf eine Minute vergessen, und so war es wahrscheinlich, daß er auch
jetzt von Ballen mit Wolle, von Fuhren, von Preisen und von Warlamow träumte
... Vater Christofor dagegen, der ein weicher, leichtsinniger und gern lachender
Mensch war, hatte in seinem ganzen Leben kein solches Geschäft kennengelernt,
das gleich einer Riesenschlaiigc imstande gewesen wäre, seine Seele zu fesseln.
Bei all den vielartigen Geschäften, an die er sich zeit seines Lebens gemacht,
hatte ihn weniger das Geschäft an sich gelockt als vielmehr die Geschäftigkeit
und der Umgang mit Menschen, die mit einem jeden Geschäft zusammenhängen. Und
so interessierten ihn bei der gegenwärtigen Fahrt weniger die Wolle, Warlamow
und die Preise als die lange Reise, die Unterhaltungen unterwegs, das Schlafen
unter dem Wagen lind die unregelmäßigen Essenszeiten ... Jetzt aber, das konnte
man seinem Antlitz ansehen, träumte er vermutlich vom hochwürdigsten Vater Christofor,
von dem lateinischen Disput, von seiner eigenen Popcnfrau, von Krapfen mit saurem
Rahm und überhaupt von allem möglichen, was ein Kusmitschow nie im Traum zu
sehen vermocht hätte. -
Anton Tschechow, Die Steppe. Nach (tsch)
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