Pickelgesicht   Da ist sie.

Ich schaute auf das Bett und sah ein schmales Gesicht, abgemagert, aber ruhig, unnatürlich ruhig, das oben aus einer blauen Baumwolldecke herausschaute, mit der man das Baby zu einem straff gerollten Bündel gewickelt hatte. Das Ganze war nicht viel größer als ein kräftiger Laib Roggenbrot. Die Hände und alles andere waren eingewickelt. Nur das gelbliche Gesicht war zu sehen, der Kopf fest verhüllt und umrahmt von einem Zipfel der Decke.

Was fehlt ihr denn, fragte ich.

Weiß nich', sagte das Mädchen keck wie ein Rohrspatz und gab sich so unbeteiligt, als ginge es um eine Stockfremde und nicht um ihre Schwester. Ich blickte sie ganz schön amüsiert an, und sie erwiderte meinen Blick, kräftig Gummi kauend, die Füße weit auseinander. Sie neigte den Kopf etwas zur Seite und blickte mir direkt in die Augen, als wollte sie sagen: Na und? Ich erwiderte ihren Blick. Sie hatte eins von jenen schmalen, gedrückten Gesichtern, Stupsnase, vorstehende Augenbrauen, niedrige Stirn und eine schreckliche Haut, pickelig und rauh.

Wann, denkst du, kommt deine Mutter zurück? fragte ich noch einmal.

Vielleicht in 'ner Stunde. Aber vielleicht komm Sie besser mal, wenn mein Vater da ist. Er kann Englisch. Er müßte so gegen fünf dasein, schätz ich.

Kannst du mir nicht etwas über das Baby sagen? Es soll doch krank sein. Hat es Fieber?

Ich weiß nich'.

Hat es denn Durchfall, ist der Stuhl grün?

Bestimmt, sagte sie, denke schon, 's ist im Krankenhaus gewesen, aber es wurde schlimmer, und da hat's mein Vater heute heimgebracht.

Was bekommt es zu essen?

'ne Flasche. Könn' Sie selber sehn. Dort is' se.

Eine Flasche mit kalter Milch lag, halb ausgetrunken, auf dem Kopfkissen, das obere Ende mit dem Nuckel war hinter den Kopf des Babys gerutscht.

Wie alt ist sie? Ein Mädchen, hast du gesagt?

Ja, 's 'n Mädchen.

Deine Schwester?

Klar. Woll'n Sie sie untersuchen?

Nein, danke, antwortete ich. Für den Augenblick wenigstens hatte ich alles Interesse an dem Baby verloren. Dieses junge Ding, das das Haus führte, hatte es mir angetan. Sie war noch ein Kind, aber sie ließ sich von niemand etwas vormachen, wenn sie es besser wußte, das Wesentliche aber an ihr war, daß ihr der muffige Geruch des Lügners vollkommen fehlte. Sie war nicht im geringsten anmaßend. Nur geradezu.

Aber eigentlich war sie gar nicht mehr solch ein Kind. Sie hatte Brüste, die sich, das war klar, in der Hand wie kleine Steine anfühlen würden, kräftige, muskulöse Arme und schöne, feste Beine. Ihre bloßen Füße steckten in abgerissenen Ledersandalen, wie man sie Kinder im Sommer am Strand tragen sieht. Auch war sie ganz braun gebrannt, wo immer ihre Haut zu sehen war. Ganz wie eins von den Kindern, wie man sie an den Teichen herumlungern findet, die es heutzutage überall vor den Toren der Städte und Großstädte gibt. Eine schwierige kleine Person, die ihren Weg in der Welt finden würde.   - William Carlos Williams, Das Mädchen mit dem Pickelgesicht, nach (messer)

 

Gesicht Pickel

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme