Sie trug ein Paar lange Jadeohrringe. Es waren hübsche Ohrringe, und sie hatten sicherlich etliche hundert Dollar gekostet. Sonst trug sie nichts. Sie hatte einen prächtigen Körper, klein, geschmeidig, fest, kräftig, wohlgerundet. Ihre Haut im Lampenlicht hatte den schimmernden Glanz einer Perle. Ihre Beine hatten nicht ganz den verruchten Reiz von Mrs. Regans Beinen, aber sie waren sehr hübsch. Ich besah mir das Mädchen ohne Verlegenheit oder Gier. Als nacktes Mädchen existierte sie in diesem Raum überhaupt nicht. Sie war nichts als süchtig. Für mich war sie einfach nur süchtig.
Ich hörte auf, sie anzusehen, und sah auf Geiger. Er lag mit dem Rücken auf
dem Boden, hinter dem Rand des chinesischen Teppichs, vor einem Ding, das wie
ein Totempfahl aussah. Das Ding hatte das Profil eines Adlers, und sein großes,
rundes Auge war eine Kameralinse. Die Linse zielte auf das nackte Mädchen im
Sessel. Eine ausgebrannte Blitzlichtbirne war seitlich in den Totempfahl geklemmt.
Geiger trug chinesische Pantoffeln mit dicken Filzsohlen, seine Beine steckten
in einem schwarzen Seidenpyjama, und seine obere Hälfte trug eine chinesisch
bestickte Jacke, die vorn fast nur aus Blut bestand. Sein Glasauge blinkte hell
zu mir auf und war bei weitem das Lebendigste an ihm. Er war sehr tot.
- Raymond Chandler, Der große Schlaf. Zürich 1974 (detebe 20132,
zuerst 1939)
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