Majoratsherr   Er sah Esther in ihrem Bette nicht mehr liegen; ihr Zimmer war dunkel; nichts regte sich in der Gasse, als die Ratten, die eine muntere Jagd unter den Brücken der Gossen hielten, auch hustete die alte Vasthi mit hoher Pelzmütze aus einem Fenster, und fing an zu beten, als ein Stier in der Nähe ein heftiges Gebrüll erhob. Diesem Gebrüll ging der Majoratsherr im Hause nach, und erblickte durch ein Hinterfenster beim Schein des aufgehenden Mondes, auf grüner mit Leichensteinen besetzten ummauerten Fläche, einen Stier von ungeheurer Größe und Dicke, der an einem Grabsteine wühlte, während zwei Ziegenböcke mit seltsamen Kreuzsprüngen durch die Luft sich über sein Wesen zu verwundern schienen. Hier stand dem Majoratsherrn der Verstand still; diese schreckliche Wirtschaft auf einem Gottesacker empörte ihn, er klingelte der Aufwärterin. Sie erschien bald, und fragte ihn: was er befehle? »Nichts, gar nichts«, antwortete er, »aber was deutet dieser Spuk?« - Die Frau trat ans Fenster und sagte: »Ich sehe nichts, als die Majoratsherren der Juden, das sind die erstgebornen Tiere, welche sie nach dem Befehle ihres Gesetzes dem Herrn weihen, die werden hier köstlich gefüttert, sie brauchen nichts zu tun; wenn sie aber ein Christ erschlägt, so tut er den Juden einen rechten Gefallen, weil er ihnen die Ausgabe spart.« - »Die unglücklichen Majoratsherren«, seufzte er in sich, »und warum haben sie Nachts keine Ruhe?« - »Die Juden sagen, daß einer aus der Sippschaft stirbt, wo sie Nachts so wühlen am Grabe«, antwortete die Frau; »hier wo dieser wühlt, ist der Vater der Esther, der große Roßtäuscher, begraben.« -»O Gott nein«, rief er, und ging in den betrübtesten Gefühlen auf sein Zimmer, und suchte sich wieder mit heftigem Flötenspiel zu zerstreuen.  - Achim von Arnim, Die Majoratsherren
 
 

Herr Erben

 

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