äuseschwanz
 

Einst kam im grauen Mäusereich
ein Herrscher auf den Thron,
der hatte einen kurzen Schwanz.
Allein, was tat das schon?

Doch war er stolz auf diesen Schwanz
und hielt nur ihn für gut.
Die andern Schwänze nannte
er ein teuflisch Attribut.

Des Königs Schwanz war siebzigfach beringt.
Das wurde Norm.
Mit einundsiebzig Ringen schon
verletzte man die Form.

Er sagte: Mehr als siebzig
sind kaum tragbar und gesund!
Wer mehr als fünfundsiebzig hat,
der ist ein Schweinehund.

Die Mäuse glaubten seinem Wort
und krochen auf den Leim.
Da fiel manch stolzer Mäuseschwanz
dem Henkerbeil anheim.

Doch wurde jeder Zagelstumpf
zum flammenden Fanal.
Der Haß erblühte im Quadrat
der eingebüßten Zahl.

Da plötzlich stürzte der Tyrann
im Taumel einer Nacht.
Die massakrierte Mäuseschar
kam nach ihm an die Macht.

Sie holten sich die Henker her,
die ehedem regiert,
und wer da einen Schwanz besaß,
dem wurde er kupiert.

Viel Klage gab es und Geschrei.
Manch Auge wurde naß.
Die Wunden heilten mit der Zeit,
und wieder wuchs der Haß.

Und wieder brach ein Morgen an
im grauen Mäuseland,
da hatten schon die anderen
das Messer in der Hand.

So hackte eins ums andre Mal
man über tausend Jahr,
bis keine Maus mehr eine Maus
mit einem Schwanz gebar.

Versunken war in Haß und Pein,
was alle Mäuse schmückt.
Zurück blieb nur die nackte Angst
mit grauem Fell bestückt.

Wie Kieselsteine lag das Volk
der Mäuse Maus bei Maus.
Denn sagte eine mehr als Zipp —
dann hieß es: Messer raus!

 -  Fritz Graßhoff, nach: Der Rabe, Magazin für jede Art Literatur Nr. 38, Zürich 1993

 

Maus Schwanz

 

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