Locken

ocken Auf der Landstraße kam ein Soldat dahermarschiert; Eins, zwei! Eins, zwei! Er hatte seinen Tornister auf dem Rücken und einen Säbel an der Seite, denn er war im Kriege gewesen und wollte nun nach Hause. Da begegnete er einer alten Hexe auf der Landstraße; sie sah sehr widerlich aus. Ihre Unterlippe hing ihr gerade bis auf die Brust, hinab. Sie sagte: „Guten Abend, Soldat! Was hast, du für einen feinen Säbel und großen Tornister! Du bist ein richtiger Soldat! Nun sollst du so viel Geld bekommen, wie du haben willst!"

„Ich danke dir, du alte Hexe!" sagte der Soldat.

„Siehst du den großen Baum dort?" sagte die Hexe und zeigte auf den Baum, der neben ihnen stand. „Er ist inwendig ganz hohl. Du mußt in den Gipfel hinaufklettern, dann siehst du ein Loch, durch welches du dich hinablassen und tief in den Baum gelangen kannst! Ich werde dir einen Strick um den Leib binden, damit ich dich wieder heraufziehen kann, wenn du. mich rufst."

„Was soll ich denn da unten im Baume?" fragte der Soldat. „Geld holen!" sagte die Hexe. - (and)

Locken ⁽²⁾ Das mitternächtliche Gebläse war schon beinahe in Vergessenheit geraten, als es ein paar Tage später auf einmal zu selben Stunde wiederum gesichtet wurde. Auch diesmal nahmen es alle deutlich wahr; sobald indessen sämtliche Segel beigesetzt worden waren, um die Erscheinung einzuholen, verschwand sie abermals, als hätte es sie nie gegeben. Und so trieb dieses Gebläse es mit uns, Nacht für Nacht, bis wir uns zuletzt damit begnügten, es von ferne zu bestaunen. Geheimnisvoll stieg in mondhellen oder sternklaren Nächten empor, ließ sich dann ein, zwei oder drei Etmal hindurch nicht mehr blicken und schien bei jedem erneuten Auftauchen noch weiter vorauszuliegen. Es war gleichsam, als lockte er einsame Strahl uns endlos in die Ferne.

Bei dem von alters her abergläubischen Wesen der Seeleute und dem Überwirklichen, das die «Pequod» in mancher Beziehung umwitterte, konnte es nicht fehlen, daß behauptet wurde, dieses unnahbare Gebläse, wann und wo immer es gesichtet werde, auch an noch so abgelegenen und weit voneinander entfernten Orten, stamme stets von ein und demselben Wal, nämlich von Moby Dick. Eine Zeitlang drohte denn auch beim Anblick dieser flüchtigen Erscheinung eine gewisse Beklemmung Platz zu greifen, als winke das geisterhafte Gebläse uns heimtückischerweise, ihm immer weiter zu folgen, damit dann das Ungetüm schließlich in den entlegensten und erbarmungslosesten Gewässern kehrtmachen und über uns herfallen könne. - (mob)

Locken ⁽³⁾

- Gottfried Helnwein