iebeswald
Liebe - der Wald, durch den ich gehe, ist licht und milde leuchtend -
eine durchbrochene Phosphoreszenz von Blättern. Gewiß, Du könntest noch immer
im Wald versteckt oder verirrt sein, oder Dich womöglich in ein Gras, ein Moos,
einen Pilz, einen Zweig, eine Blume verwandelt haben; es gefällt mir, in einem
Insektengesumm Deine Stimme zu hören und Dir Haare aus Gras zu flechten, und
der Baumstamm, den ich berühre, ist Dein Körper. Ich bahne mir langsam einen
Weg, während ich meine Gegenwart an diesem Ort, von dem ich - einem unsinnigen
Gedankenspiel folgend - gern annehme, daß Du es bist, Du selbst - nichts als
ein Fieberwahn -, so weit wie möglich ausdehne und hinziehe. Ich verfolge nicht,
ich ziele auf nichts, im Gegenteil, ich gehe langsam voran, wobei ich die Beharrlichkeit,
die Milde, die Konzentration und den Erfindungsreichtum meines Liebens prüfe.
Ahmst Du Dich selbst nach - folgst Du mir und schützest mich als Wald? Gibt
es in Deiner Unliebe Lücken, die Dir Verwandlungen gestatten - ein mattes Leiden,
weniger als ein Bedauern? Diese geistige Verschrobenheit oder Dekadenz, auf
die ich nicht zu verzichten wage, gestattet es mir, eine zermürbte und jedenfalls
stille Ergebenheit zu üben - voller Riten, Gesten, Stereotypien, Litaneien,
Delirien, Obskuritäten und Erleuchtungen. Ich weiß nicht, ob in Dir Leid oder
Böses ist, oder ob es nur Verstellung ist, oder einfach Dein Im-Zentrum-Sein
als mein und der Welt erschöpfendes Bild - zarte Wehmut, Krankheit. Doch ob
Du nun existierst oder nicht - Du kannst nicht umhin, mich zu beobachten: vorsichtig,
kalt, leidenschaftlich, mit Wohlwollen, Hoffnung, Erschöpfung, Langeweile. Wir
leugnen nicht, daß diese Nicht-Geschichte unseres einander Liebens, Verfolgens
und Verweigerns meist Krampf, Kummer und Erschöpfung ist, zumal wir einander
nie erreichen können. Ich messe das Blatt, den Zweig, die Eichel ~ den Empfänger
der Liebesglut; es gibt in diesem Wald keine Form, die nicht plötzlich entdeckte,
Verfolgte und Verfolgerin, Pfeil und Hindin, langsames Zielen und wildes Wegspringen
zu sein. In diesem Liebeswald löst Deine gleichmäßig verteilte Abwesenheit Wut,
kniefällige Ergebenheit und Schluchzen aus. - Giorgio Manganelli, Amore. Berlin
1982 (Wagenbach Quartheft 118, zuerst 1981)
|
||
|
||