eichen=Wäsche

SIE hatten sich an ihn gewöhnt. Doch als
die Küchenlampe kam und unruhig brannte
im dunkeln Luftzug, war der Unbekannte
ganz unbekannt. Sie wuschen seinen Hals,

und da sie nichts von seinem Schicksal wußten,
so logen sie ein anderes zusamm,
fortwährend waschend. Eine mußte husten
und ließ solang den schweren Essigschwamm

auf dem Gesicht. Da gab es eine Pause
auch für die zweite. Aus der harten Bürste
klopften die Tropfen; während seine grause
gekrampfte Hand dem ganzen Hause
beweisen wollte, daß ihn nicht mehr dürste.

Und er bewies. Sie nahmen wie betreten
eiliger jetzt mit einem kurzen Huster
die Arbeit auf, so daß an den Tapeten
ihr krummer Schatten in dem stummen Muster

sich wand und wälzte wie in einem Netze,
bis daß die Waschenden zu Ende kamen.
Die Nacht im vorhanglosen Fensterrahmen
war rücksichtslos. Und einer ohne Namen
lag bar und reinlich da und gab Gesetze.

 - Rainer Maria Rilke

Leichen=Wäsche  (2)  Eine komplette Leichenwäsche bedeutet, die Leiche erst gründlich von innen und außen zu waschen, alles mit einem desinfizierenden Duft einzusprühen, frische Kleidung anzuziehen, die Haare zu frisieren. Dann werden alle sichtbaren Hautpartien massiert, von der Stirn, den Wangen, den Lippen und dem Hals bis zu den Händen; das wiederholt man, bis man den Toten quasi wieder lebendig gemacht hat und seine Haut so elastisch wirkt wie die eines Lebenden. Dann wird sie mit Öl eingerieben, bis sie schön glänzt, danach kommt das Make-up; alles in schön gleichmäßigem Rhythmus, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Die Farben müssen passen, die Wimpern, Mundwinkel, Nasenlöcher, alles muß stimmen, aber die Crux sind die Augen, ob man den Anschein eines friedlich Schlafenden hinbekommt. Überleg mal, wenn die Leute sterben, liegen sie erst mal zwei, drei Tage zu Hause, werden für die Riten aufgebahrt; bis sie ins Bestattungsinstitut kommen, sind sie schon steif, die Wangen sind eingefallen, die Haut aschgrau; und wenn es heiß ist, bekommen sie diesen strengen Geruch. Wenn die Angehörigen eine Trauerzeremonie wollen, mit Leichenwäsche und Make-up, hat man große Schwierigkeiten. Deshalb muß man für diesen Beruf eine besonders gesunde Physiologie und Psyche haben, ähnlich wie ein Mediziner, der das Messer führt – wie willst du denn, ohne deinen Körper genau zu kennen, die Grimasse eines qualvoll zu Tode Gekommenen in einen normalen Gesichtsausdruck zurückverwandeln, ihn sogar lächeln lassen?

Das braucht ganz schön Courage.

Das hat mit Courage nichts zu tun, ist alles eine Frage der Praxis; wenn es nichts wird, muß man alles von vorne machen, Übung macht den Meister! Viele Schriftsteller haben Geschichten über das Verweilen in Leichenhäusern geschrieben, aber ich habe hier schon so viele Jahre zugebracht, ich kenne alle Geschichten, Monster und bösen Geister! Während der Kulturrevolution wollten sie mir mal einen Schreck einjagen, sie entwendeten nachts eine Leiche aus der vollen Halle und stellten sie vor meinem Arbeitszimmer auf. Als ich mitten in der Nacht aufs Klo gehen wollte, machten sie Geräusche von Summen und Flügelschlagen nach, und ich traf mit dem Mund voll auf einen anderen Mund … Da habe ich mich schon erschrocken, aber zum Glück bin ich ja so etwas gewohnt und lasse mir nichts vormachen. Ich habe die Leiche gepackt und ihr rechts und links eine gewischt und sie dann geschultert und wieder weggeschlossen. Ansonsten war es mir egal, bis auf den Formalingeschmack im ganzen Mund, wegen dem ich mir wie wild den Mund ausspülen und die Zähne putzen mußte. .- Zhang Daoling, nach Lettre, 14. März 2008

 

Leiche

 

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