Leiche, flüchtende     »Ah, der miserable Betrüger! Da geht er hin mit meinen drei Lire, die ich ihm in barem Geld geliehen! Gemeiner Dieb, mögen sie deine Seele belasten!«

Diese Worte rief er so laut, daß Falananna sie hörte. Sei es nun, daß er nicht mit dieser Schuld in die Grube fahren wollte oder daß er zu Unrecht so gröblich beleidigt zu sein meinte, jedenfalls befreite er mit einem Ruck seine Hände, und als er sie frei hatte, zerriß er schnell die Hülle, die ihm das Gesicht verdeckte und beseitigte sie, worauf er sich in die Sitzlage aufrichtete und zu dem Mann, der in einem fort schimpfend neben der Bahre herging, sagte: »Ha, du Tropf! Spricht man so zu den Toten? Elender, der du bist! Warum hast du das Geld nicht von mir verlangt, als ich noch lebte, oder bist du zu meiner Frau gegangen, die dich bezahlt hätte?«

Als die Träger diese Worte vernahmen, ließen sie vor Schreck die Bahre fallen, und der Gläubiger war nahe dran, seinen Geist aufzugeben. Nachdem Falananna samt der Bahre auf die Straße gefallen war, schrie er den entsetzten Trägern zu: »Fürchtet euch nicht, ich bin tot, tut ruhig euren Dienst und führt mich zur Gruft.« Damit legte er sich wieder auf der Bahre zurecht und rief abermals: »Tragt mich zu Grabe, tragt mich weiter, ich bin tot.«

Da erhob sich ringsum ein gewaltiges Geschrei, und die einen flohen, die anderen verbargen sich und wieder andere bekreuzigten sich. Das Kreuz, das bereits dicht bei der Kirchentür angelangt war, stand still, und Falananna schrie andauernd: »Begrabt mich, begrabt mich; denn ich bin tot!« Einige von der Bruderschaft jedoch, die sehr wohl wußten, wes Geistes Kind er war, näherten sich ihm, stocherten ihn mit ihren Fackeln und sagten: »Du Frevler, du Schelm, was hat das zu bedeuten?« Falananna aber beharrte bei seinem Schreien: »Begrabt mich, ich bin tot, die ihr einen Strick um den Hals verdient! Begrabt mich um Gottes willen!«

Da kehrten sie ihre Fackeln um und fingen an, auf ihn einzuschlagen und ihn gehörig zu vermöbeln. Als Falananna die Hiebe spürte, fing er an zu schreien und zu jammern, befreite Kopf und Füße aus der engen Hülle und sprang, damit jene ihm nicht den Buckel zerschlügen, von der Bahre herunter und flüchtete, indem er rief: »Ah, Verräter, Verräter, ihr habt mich wieder zum Leben erweckt!« Da er einen Stockhieb über den Kopf erhalten hatte, rann ihm das Blut über Gesicht und Brust. Das bestärkte ihn noch in seiner Überzeugung, daß er lebendig sei, und er blieb daher bei seinen Vorwürfen. »Verräter!« rief er, »ist das die Art, wie man die Toten auferweckt? Heh! ich werde aufs Gericht gehen.«

Als die Leute, die in der Nähe waren, das hörten, hielten ihn die meisten davon für vollkommen übergeschnappt oder für besessen, und die Gassenkinder lasen Kot und Steine auf, schrien: »Haut den Narren! Haut den Narren!« und fingen an, hinter ihm drein zu rennen. Voller Entsetzen flüchtete Falananna in Richtung auf das Karmeliterkloster, und die Kinder über die Piazza del Carmine hinter ihm her, in einem fort: »Fangt den Narren, fangt den Narren!« rufend. Ohne zu wissen, wohin, rannte Falananna in seiner Angst immer weiter und schrie dabei unaufhörlich und überall, wo er vorbeikam, standen die Leute verblüfft und bestürzt, als sie ihn in diesem Aufzug sahen.  - Antonfrancesco Grazzini, Feuer auf dem Arno. Berlin 1988 (zuerst ca. 1550)

Leiche Flüchter

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

 

VB

 

Synonyme