rallenkraken
»Vom Ruderboot aus ... fand ich an diesem Tag eine große Sepia,
tot auf dem Wasser treibend und so von Vögeln in Stücke zerrissen, daß ihre
Art nicht bestimmt werden konnte; nur das eine weiß ich, daß aus ihr eine der
besten Suppen gemacht worden ist, die ich je gegessen habe ... Statt Saugnäpfen
trugen die Arme scharfe Krallen wie die einer Katze und wie solche in eine Hautscheide
zurückziehbar ...« Was diese herrliche Suppe den Zoologen an Sorgen eingebracht
hat -davon handelt unser Bericht. Der Botaniker J. Banks, Begleiter des Kapitän
Cook, rettete nämlich in der Küche einige Reste, unter anderem einen Armkranz
mit Krallen, den er in ein Konservierungsmittel, wohl in Spiritus, einlegte,
und der schließlich in das British Museum gelangt ist.
Damit setzt eine Reihe von Irrungen ein, die uns dieser Einzelfund wie selten einer beschert hat. 1782 benannte Ignazio Molina in seiner Geschichte der Natur und Kultur von Chile einen Kalmar jener Küste »Sepia unguiculata«, die Krallentragende, womit er möglicherweise die von Banks gefundene Art beschrieb. Da es manche Formen mit ähnlichen Klauen statt der Saugnäpfe gibt, und die alte Bezeichnung Sepia gar vage ist, wies der französische Biologe d'Orhigny 1839 unser Hochseetier einer neuen Gattung zu.
Immer mehr marine Zoologen helfen den Wirrwarr vergrößern, der schließlich ganz vergessen laßt, wie wenig wir von dem Suppenlieferanten eigentlich wissen. R. Owen sah 1881 wohl die Reste in London und zog aus der Etikette mit den Initialen J.B. den Schluß, er habe das von Banks autgefischte Wesen vor sich. Er taufte den unbekannten Kalmar wieder um. Ein Jahr später aber erhob Japetus Steenstrup in Kopenhagen, eine Autorität in der Erforschung der Tintenfische, das Rätselwesen wieder zu einer neuen Gattung, die er Cucioteuthis nannte, was übrigens nichts mit Kapitän Cook zu tun hat!
Zu allem Unglück wurde das Glas in der Londoner Sammlung im Zweiten Weltkrieg durch Bomben beschädigt, und das erneute Studium des Mundkranzes macht es sehr fraglich, was für eine Art in diesem Gefäß erhalten geblieben ist.
Gewissensqualen der Zoologen! Nur Leichtfertige können unbesorgt glauben,
wir hätten den Fund von J. Banks vor uns. Als ich mich um 1950 an unsere ausgiebige
Darstellung der Tintenfische wagte, da geisterte Cucioteuthis unguiculata immer
wieder als ein unsicheres Wesen durch meine Notizen und Ordnungsversuehe. Indessen
hatte ganz unbemerkt ein neues Kapitel der Geschichte von Cucioteuthis begonnen.
Das Forschungsschiff »Dana« - berühmt durch seine Beiträge zur Kenntnis der
unerhörten Wanderungen unserer Aale bis hin zu den Tiefen der Bermudas-Region-,
dieses dänische Schiff erbeutete beim Kap Verde im offenen Netz einen winzigen,
unbekannten Kalmar, dem Joubin 1931 den Gattungsnamen Taningia gab, dem Forscher
A. Vedel Taning in Kopenhagen zu Ehren. Wir dachten damals nicht viel dabei;
Taningia war eine kleine Form, wie es viele gab, und wir warteten eben, ob man
eines Tages mehr darüber erfahren würde. Und das geschah! Bei den Azoren und
bei Madeira fand man im Magen von Pottwalen Tintenfischreste, die wiederum jene
merkwürdigen Klauen zeigten wie das Tier, welches J. Banks vor fast zwei Jahrhunderten
gefischt hatte. Die Klauenform irritierte die Zoologen; sie begannen in den
fünfziger Jahren die Untersuchungen von Pottwalmägen zu vertiefen. Der englische
Forscher Malco!m R. Clark reiste nach Südafrika, wo der Walfang in beträchtlichem
Ausmaß betrieben wird. Er brachte aus Walmägen eine größere Zahl von Tintenfischen
heim, manche davon nahezu meterlang, die alle zu der so ungewissen Cucioteuthis
gehörten. Ihm gelang der Nachweis, daß diese Form mit der von Joubin Taningia
getauften übereinstimmen muß. So kam es zur letzten Umtaufe der »Sepia« von
Banks, da Taningia seinerzeit nach allen Regeln der Forschung benannt worden
war. Der kleine Kalmar von 1931 ist offenbar die Jugendform; die Erwachsenen
leben in tieferen Zonen des Meeres und sind wohl in manchen Gebieten eine häufige
Beute der Pottwale. Offenbar war seinerzeit am 28. März 1769 ein solches Exemplar
an die Oberfläche emporgetrieben worden. Heute haben wir gute Gründe anzunehmen,
daß Kapitän Cooks wunderbare Suppe von einer großen Taningia stammte. -
Adolf Portmann, An den Grenzen des Wissens. Frankfurt am Main 1976
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