indheitserinnerung,
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TRINKBUDENPÄCHTER Das war ja so ein Saustall; ich zahl der
Stadt für meine Trinkbude am meisten vom Markt, dafür muß ich im Umkreis von
einem Meter um meine Bude selber sauber machen, die ham, auf deutsch gesagt,
rumgschissen und ich habs sauber machen müssen; ein ganzes Kommando von der
StraßenreinJgung hat jede Früh denen ihren Dreck weggeschafft. Ja, wenn da a
warme Nacht gwesen ist -einmal komm ich in der Früh, ich komm so meistens um
halb 6 her, hab ich 32 Mandl und Weibl beieinand zählt. Die ham sich da am Vormittag
da gewaschen und rasiert und gsoffen hams an ganzen Tag. Da ist ja niemand mehr
hergangen zu mir. Ich zahl extra mehr, daß ich a paar Stühle nausstellen kann,
da ham die Leut keine Ruh ghabt; einmal sind 16 Strichjungen draußen gewesen,
ich hab ja alles gesehen von da. Einmal is mir am Abend mein Auto net weggangen,
hab ich mir gedacht, kommst später noch mal her. Wie ich am Auto hantier, kommt
a Zuhälter her, ein dreckiger Kerl, mit an zwanzigjährigen Madl, ein sauberes
und adrettes Ding und sagt, ob ichs net möcht. 50 Mark, sagt er, muß dir das
Madl am Tag scho wert sein. Net, der hat mich nicht kennt, daß ich von daherin
bin, weil ich mein Mantel net anghabt hab. Wennst net schaust, daßt weiterkommst,
hab ich gsagt, hau ich dir das Nächste an den Schädel, das ich erwisch. Ich
habs der Polizei gesagt, daß ihn verhaften solln, ja wir ham keine Beweise,
ich mach Ihnen an Zeugen; und 2 Alte hat er gehabt für die Rentner, die keine
10 Mark wert sind. Eine, a dickere, hat ausgschaut wie a Jüdin oder Zigeunerin,
derweil hat die an Vorstadtdialekt gsprochn. Ich hab einen Artikel in den Merkur
gesetzt. Ich hat schon öfter für den Merkur geschrieben. Also net um einen Hundertmarkschein
gab ich die Erinnerung her, wie wir Buben über den Königsplatz auf die Propyläen
schlendern. Da is' hinter uns herkommen in schweren Massen. Alles in roter Binde
und Gewehr. Ein wandelndes Mohnfeld. Nicht in Reih und Glied kommen sie daher.
Einzeln, in Gruppen. In der Ferne leuchtet eine blutigrote Fahne aus den Massen,
Ein wundervolles Bild, das die untergehende Sonne leuchtend macht. Ein Eindruck
für ewig. Die Bürger stieren entsetzt auf das rote Tuch und machen kehrt, wie
vor einer Staubwolke, die einem schweren Gewitter vorausstürmt. Die ersten Tropfen
prasseln an uns vorüber. Intelligente Gesichter drunter, voller Ernst. Es sind
Arbeiter, die man bewaffnet hat. Da war nicht alles Spartakist, was a rote Binde
tragen hat. Da ... hoch in den Sfären singt's und klingt's. Ein Jubelgesang.
Ein Flieger zieht seine Kreise. Klingt's nicht wie frommes Lied aus der Kindheit?
Vom Himmel hoch, da komm ich her und bring euch eine neue, gute Mär! Hände falten
sich wie zum Gebet und Hände ballen sich vor Wut. Is dös a feindlicha Fliega?
fragt mich a anderer Bub. Die Antwort darauf geben ein paar rotgebänderte junge
Leute. Sie reißen das Gewehr an die Backe. Pitsch! Patsch! Herrgott Sakrament!
Ja, eine Ohrfeige mit dem Gewehrkolben tut weh! mein Lieber! Aber sie schießen,
was geht. Fenster werden aufgerissen, Dachluken öffnen sich, und überall schießt's
heraus. Die ganze Stadt ist in Aufruhr. Tausende von Kugeln zielen nach dem
Flieger und schießen neue Löcher in die Luft oder in die Fenster. Man ist toll
geworden. Oh, es ist ein Vergnügen, auf Menschen zu schießen. Da stürmt einer
aus einem Haus heraus. Jeder Zoll ein Schieber,
Schleichhändler und Blutsauger, ein Jäger vor dem Herrn. Wie er knallt! Ist
doch was anders, auf einen Menschen schießen als auf einen Vogel. Und neben
ihn stellt sich - ich gab diese Erinnerung nicht um 20 Mark her - ein Bub meines
Alters mit seinem Holzgewehr und schießt auch mit auf den Flieger. Die Roten
haben über ihren Sieg bei Dachau gejubelt. Ihre Freude wurde gedämpft durch
die Nachricht vom bevorstehenden Frieden unter Ausschluß Bayerns. Für diese
Hartherzigkeit haben hunderttausend Münchner den Franzosen gedankt. - Herbert Achternbusch, L'Etat c'est moi. Frankfurt am
Main 1972