indheitserinnerung In
der Wiege sah er ziemlich genauso aus wie später im
Grab, Habichtnase, lange
Lippe, die an der Brustwarze allzu zielsicher wirkte,
und ein mädchenhafter Körper.
Wendells Erinnerungen beginnen schon mit den Geschehnissen seines
zweiten Lebensjahres. Er erinnert sich, daß er mit Streichhölzern spielte, daß
er infolge dieser Angewohnheit die Scheune in Brand setzte, die ihrerseits ihre
Glut dem Haus übermittelte und nichts stehenließ als ein Abflußrohr, einen Tisch
mit Marmorplatte sowie jene ihrer Besitztümer, die Sophia aus dem Fenster werfen
konnte, darunter eine eiserne Brennschere mit Elfenbeingriffen, ein Sèvres-Krug,
der sofort in tausend Stücke sprang, ein blaues Hauskleid und ein Reifrock. -
(ryder)
Kindheitserinnerung (2) Bobo war drei Jahre älter als Perry, und sie liebte ihn innig; er war ihr einziges Spielzeug, eine Puppe, die sie schrubbte und kämmte, küßte und manchmal verprügelte. Sie betrachtete ein Bild von ihnen beiden, wie sie nackt in dem kristallklaren Wasser eines Baches in Colorado badeten, der Bruder, ein dickbäuchiger, von der Sonne tief gebräunter Cupido, packte die Hand seiner Schwester und lachte, als kitzelten ihn geisterhafte Finger in dem schäumenden Wasser. Auf einem anderen Schnappschuß (Mrs. Johnson wußte es nicht mehr genau, aber wahrscheinlich, meinte sie, war er auf der abgelegenen Ranch in Nevada gemacht worden, wo die Kinder die furchtbaren Kämpfe zwischen ihren Eltern miterlebt hatten, mit Reitpeitschen, kochendem Wasser und Karbidlampen als Waffen, und wo die Ehe zerbrochen war) reiten Perry und sie auf einem Pony, die Köpfe dicht beisammen, die Wangen aneinan-dergelegt und im Hintergrund flimmernde Berge.
Später, als die Kinder mit ihrer Mutter in San Francisco lebten, war Bobos
Liebe für den kleinen Jungen allmählich abgekühlt und endlich ganz geschwunden.
Er war nicht mehr ihr Baby, sondern ein wilder Straßenjunge, ein Dieb und ein
Räuber. Verhaftet wurde er zum erstenmal am 27. Oktober 1936, seinem achten
Geburtstag. -
(cap)
Kindheitserinnerung (3) Am Abend
ward zum Greis der Vater; in dunklen
Zimmern versteinerte das Antlitz der Mutter und auf dem Knaben lastete der Fluch
des entarteten Geschlechts. Manchmal erinnerte er sich seiner Kindheit, erfüllt
von Krankheit, Schrecken und Finsternis, verschwiegener Spiele im Sternengarten,
oder daß er die Ratten fütterte im dämmernden Hof. Aus blauem Spiegel trat die
schmale Gestalt der Schwester und er stürzte wie tot ins Dunkel. Nachts brach
sein Mund gleich einer roten Frucht auf und die Sterne erglänzten über seiner
sprachlosen Trauer. Seine Träume erfüllten das alte Haus der Väter. Am Abend
ging er gerne über den verfallenen Friedhof, oder er besah in dämmernder Totenkammer
die Leichen, die grünen Flecken der Verwesung auf ihren schönen Händen. An der
Pforte des Klosters bat er um ein Stück Brot; der Schatten eines Rappen sprang
aus dem Dunkel und erschreckte ihn. Wenn er in seinem kühlen Bette lag, überkamen
ihn unsägliche Tränen. Aber es war niemand, der die Hand auf seine Stirne gelegt
hätte. Wenn der Herbst kam, ging er, ein Hellseher, in brauner Au. O, die Stunden
wilder Verzückung, die Abende am grünen Fluß, die Jagden. O, die Seele, die
leise das Lied des vergilbten Rohrs sang; feurige Frömmigkeit. Stille sah er
und lang in die Sternenaugen der Kröte, befühlte mit erschauernden Händen die
Kühle des alten Steins und besprach die ehrwürdige Sage des blauen Quells. O,
die silbernen Fische und die Früchte, die von verkrüppelten Bäumen fielen. Die
Akkorde seiner Schritte erfüllten ihn mit Stolz und Menschenverachtung. Am Heimweg
traf er ein unbewohntes Schloß. Verfallene Götter standen im Garten, hintrauernd
am Abend. Ihm aber schien: hier lebte ich vergessene Jahre. Ein Orgelchoral
erfüllte ihn mit Gottes Schauern. Aber in dunkler Höhle verbrachte er seine
Tage, log und stahl und verbarg sich, ein flammender Wolf, vor dem weißen Antlitz
der Mutter, o, die Stunde, da er mit steinernem Munde im Sternengarten hinsank,
der Schatten des Mörders über ihn kam. Mit purpurner Stirne ging er ins Moor
und Gottes Zorn züchtigte seine metallenen Schultern; o, die Birken im Sturm,
das dunkle Getier, das seine um-nachteten Pfade mied. Haß verbrannte sein Herz,
Wollust, da er im grünenden Sommergarten dem schweigenden Kind Gewalt tat, in
dem strahlenden sein umnachtetes Antlitz erkannte. Weh, des Abends am Fenster,
da aus purpurnen Blumen, ein gräulich Gerippe, der Tod trat. O, ihr Türme und
Glocken; und die Schatten der Nacht fielen steinern auf ihn. - Georg Trakl
Kindheitserinnerung (4) Mein
Vater erzählte mir, daß das tägliche Leben alle Illusionen zerstört. Die
Negerinnen von Paris besonders stinken. Nach der ersten Liehe nur Sexualität
kommt. Recht viel größer war der Beitrag meines Vaters an meiner Erziehung nicht.
Ich war jedesmal froh, wenn an der Scheune des Grell alles von mir abfiel. Wie
ich es auch jedesmal genoß, wenn ich mit meiner Großmutter in die Stadt gehen
und Schuhe tragen mußte, wir auf dem Heimweg kurz vor Scheiring auf dem heißen
Südhang neben den überwachsenen Erdwällen der während des Kriegs begonnenen
Autobahn Regensbtirg/Passau unter einem Birnbaum Rast machten, die Schuhe auszogen,
noch kühle Scheiben einer Zungenwurst aßen und barfüßig weitergingen, durch
eine kühle, nicht überdachte Autobahnunterführung in den Wald kamen, etwas versteckt
lag hier der Hof des Pfefferbauern, der sich später aufgehängt hat. - Herbert Achternbusch, L'Etat c'est moi. Frankfurt am
Main 1972
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