aufhausdetektiv Es war nur der Kaufhausdetektiv, ein hagerer, grauhäutiger Mann, der vorgab, sie soeben beim Stehlen beobachtet zu haben.
»Aber was soll ich denn hier gestohlen haben?« rief sie beschämt und erregt, »hier gibt es doch gar nichts, was ich gebrauchen konnte!« Der Mann mit einer flachen Stirn und einem verknitterten kleinen Gesicht wies auf ihren Hals: »Und was ist das da?« »Mein Hals!« »Und darin?« »Darin? Darin ist... meine Stimme.« »Es ist keineswegs Ihre Stimme. Noch vor kurzem habe ich Sie unten mit dem Wärter reden hören, und das klang mir doch verteufelt anders. Es war erstens ein dunkles, zweitens ein durch und durch dialektfreies Organ.« Daran war nun leider etwas Wahres. Die Frau hatte es wohl selbst schon bemerkt: im Augenblick des Schocks, als sie gleichzeitig den Vater zu hören glaubte, hart am Arm gefaßt und vom Bild des Wolfsmenschen angefallen wurde, da war ihr die Stimme in die alte heimische Tonart verrutscht, und seither sprach sie auch ein wenig hell und schroff wie zu ihrer Kinderzeit. Sie kam da gar nicht mehr heraus, sosehr sie sich auch bemühte und räusperte.
»Sie haben gestohlen!« wiederholte der Aufseher barsch, »kommen Sie, wir
wollen uns Ihren Fall etwas näher betrachten.« Er faßte sie wieder an, zog sie
hinter sich her, die Treppe hinunter und dann, vermittels einer absenkbaren
Bodenplatte, schwebten sie in sein unterirdisches Büro. Das war ein seltsamer
Raum, rund wie eine Taucherglocke, ausgestattet mit Video-Schirmen und Lauschanlagen,
die mit restlichtverstärkenden Kameras und Schweigesonden verbunden waren, so
daß man den Turm von hier aus immer beobachten und abhören konnte, auch wenn
nachts vollkommene Stille und vollkommene Finsternis herrschten. Der Detektiv
hatte zwar kaum eine Nase, dafür aber einen schwabbligen, feuchten Mund, an
dem sich beim Reden Speichelblasen bildeten so groß wie Christbaumkugeln. Nun
hatte er also die Bescholtene in seinem ungelüfteten Arbeitsraum. Er setzte
sich schlaksig vor sie hin auf die Tischkante und zog beständig einen kleinen
degenförmigen Brieföffner durch die Fingerritzen. Er beobachtete seinen Fang
mit lüsterner Wachsamkeit und warf sich in die Pose eines verhörführenden Beamten.
Doch die Frau gab bereitwillig Auskunft zu ihrer Person, nur daß sie durchaus
nicht zugeben wollte, eine gestohlene Stimme in ihrer Kehle zu haben. Als er
nun weiterhin auf ein Geständnis drang und sogar drohte, die Polizei zu rufen,
da mußte sie über den erbitterten Fleiß des Detektivs rundheraus lachen, denn
der hatte wohl seit langem niemanden mehr überführt und mußte schon um die Einsparung
seiner Stelle fürchten. - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984
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