- (
zauber
)
Irrwisch (2) Es ist ein altes angeborenes
Recht und eine Vergünstigung, daß, wenn der Mond geradeso steht, wie er gestern
stand, und der Wind geradeso bläst, wie er gestern blies, es dann allen Irrlichtern,
die in dieser Stunde und in dieser Minute geboren werden, gegeben und vergönnt
ist, Menschen zu werden, und jedes von ihnen darf ein ganzes Jahr hindurch ringsumher
seine Macht ausüben. Das Irrlicht kann im Lande herum und auch durch die Welt
laufen, wenn es nur keine Angst hat, in den See zu fallen oder von einem schweren
Sturm ausgeblasen zu werden. Es kann geradewegs in einen Menschen hineinfahren,
für ihn sprechen und alle Bewegungen machen, die es will. Der Irrwisch kann
jede Gestalt annehmen, Mann oder Frau werden, kann in ihrem Geiste nach seiner
Art handeln, so daß es nur darauf hinauskommt, was er will; aber er muß in einem
Jahre dreihundertundfünfundsechzig Menschen auf Abwege bringen können, sie vom
Wahren und Richtigen fortführen, und das in großem Stil, dann erreicht er das
Höchste, zu dem es ein Irrwisch bringen kann, nämlich Läufer vor des Teufels
Staatskutsche zu werden, glühende brandgelbe Kleider zu tragen und Flammen aus
dem Halse zu speien. Danach kann sich ein einfacher Irrwisch den Mund lecken.
Aber es sind auch für einen Irrwisch, der eine Rolle zu spielen gedenkt, Gefahren
und große Beschwerden dabei. Gehen dem Menschen die Augen auf, wer er ist, und
kann er ihn dann wegblasen, so ist es aus mit ihm, und er muß in den Sumpf
zurück, und wenn der Irrwisch, noch ehe das Jahr um ist, von Sehnsucht ergriffen
wird, zu seiner Familie zu kommen, und sich selbst aufgibt, ist es auch aus,
er kann nicht langer klar brennen, geht bald aus und kann nicht wieder angezündet
werden. Und ist das Jahr zu Ende und er hat noch nicht dreihundertundfünfundsechzig
Menschen von der Wahrheit und allem, was gut und herrlich ist, fortgeführt,
so ist er verurteilt, in faulem Holz zu liegen und zu leuchten, ohne sich rühren
zu können, und das ist die fürchterlichste Strafe für einen lebhaften Irrwisch.
- (
and
)
Irrwisch (3) An der Bergstraße zu Hänleln, auch
in der Gegend von Lorsch, nennt man die Irrlichter Heerwische; sie sollen
nur in der Adventszeit erscheinen, und man hat einen Spottreim auf sie: „Heerwisch,
ho ho, brennst wie Haberstroh, schlag mich blitzebloe!" Vor langer als
dreißig Jahren, wird erzählt, sah ein Mädchen abends einen Heerwisch und rief
ihm den Spottreim entgegen. Aber er lief auf das Mädchen gerade zu, und als
es floh und in das Haus zu seinen Eltern flüchtete, folgte er ihr auf der Ferse
nach, trat mit ihr zugleich ins Zimmer hinein und schlug alle Leute, die darin
waren, mit seinen feurigen Flügeln, daß ihnen Hören und Sehen verging. - (sag)
|
|