ruftöffnung   Am Morgen, eine Stunde vor Tag, hatte Monaco im Auftrag des Magnifico eine pechschwarze Taube, die ausdauerndste und schnellste Fliegerin, die man je gesehen, von Careggi hereingebracht. Sie wußte ihren Schlag so gut wiederzufinden, daß sie schon von Arezzo und von Pisa zurückgekommen war. Diese hatte er mit großer Vorsicht, damit er von niemand bemerkt werde, in das Grab eingeschlossen, das er genau kannte und nachher wieder so gut zumachte, daß es seit zehn Jahren nicht mehr geöffnet worden zu sein schien.

Der Sakristan setzte also den Haken ein, hob die Platte auf und öffnete in Gegenwart von mehr als tausend Menschen die Gruft. Da schoß nun die Taube, die den Namen Kohle hatte und mehrere Stunden ohne Nahrung im Finstern zugebracht hatte, sobald sie das Tageslicht hereindringen sah, in pfeilschnellem Flug aufwärts aus der Gruft hervor und stieg sichtbar himmelan und so hoch, bis sie Careggi erblickte. Dann senkte sie ihren Flug und nahm diese Richtung und war in weniger als einer Achtelstunde an Ort und Stelle. Alle Umstehenden waren so verblüfft und erschrocken, daß sie mit dem Schrei: »Jesus, erbarme dich!« auseinanderstoben und davonliefen, ohne zu wissen, wohin. Der Sakristan fiel vor Entsetzen rücklings zu Boden und zog den Stein nach sich, so daß er auf ihn fiel und ihm einen Schenkel derart zerquetschte, daß er viele Tage und Wochen krank darniederlag. Die Mönche und ein großer Teil des Volkes liefen in der Richtung von Santa Maria Maggiore und riefen: »Ein Wunder! Ein Wunder!« Der eine sagte, es sei ein Geist herausgefahren in Gestalt eines Eichhörnchens, es habe aber Flügel gehabt; der andere, es sei eine Schlange gewesen, welche Feuer gespien; andere behaupteten, es sei ein Teufel gewesen in Gestalt einer Fledermaus; die meisten versicherten, sie hätten ein kleines Teufelchen gesehen; ja, einer sagte, er habe genau die Hörnchen und die Gänsefüße wahrgenommen.     - Antonfrancesco Grazzini, Feuer auf dem Arno. Berlin 1988 (zuerst ca. 1550)