Geschäftsanbahnung  Die Männer traten ein, beeilten sich, schwatzten und riefen sich etwas zu. Einige allerdings, das erkannte Tommaso mit einem Blick, ließen sich mehr Zeit und standen länger vor der Marmorrinne zwischen den schmalen, ebenfalls marmornen Schutzwänden. Einer war schon eine ganze Weile da: ein Alter von vielleicht fünfzig Jahren, hochgewachsen, viel Weiß im Haar, mit Mantel; die Augen in seinem Hundegesicht schienen alles zu versengen, was sie betrachteten. Das Blut war ihm zu Kopf gestiegen. Er hatte rote Flecken auf der Haut, als wäre er ein wenig betrunken oder litte an Herzschmerzen; sein Gesicht zog sich in einem schmierigen Lächeln auseinander, daß die Augen fast verschwanden. Tommaso schob sich nicht weit von dem Mann in die Schlange, rückte sich zurecht und öffnete mit ernster, etwas zerstreuter Miene den Hosenschlitz. Der Alte warf ihm von seinem Platz aus einen Blick zu, den Tommaso, wie zufällig, auffing und zurückgab, worauf er aber gleich wieder geradeaus sah, etwas nach oben, auf eine Reklame. Der andere fuhr fort, ihn hartnäckig zu fixieren, wie ein alter Teufel, der seine Hörner verloren hat; Tommaso warf ihm einen weiteren Blick zu, dann knöpfte er sich zu und stieg, ohne sich noch einmal umzublicken, die Stufen hinauf. Als er im Freien angelangt war, stellte er sich, womöglich noch ernster als zuvor, unter eine Platane auf den Bürgersteig, wo ein Haufen von Passanten zum Bahnhof oder zur Endhaltestelle der Straßenbahn strömte. Dort blieb er stehen und lehnte sich, die Hände in den Taschen, an einen Baumstamm, als müßte er für jemanden Schmiere stehen. Es dauerte nicht lange, und der Alte erschien auf den obersten Treppenstufen. Er machte ein paar Schritte auf dem Trottoir, musterte Tommaso und ging an ihm vorbei. Tommaso rührte sich nicht: eine Statue. Der Alte ging noch ein Stück weiter, dann drehte er sich wieder um.Tom-maso sah ihn nicht an: Er blickte zum gegenüberliegenden Bürgersteig jenseits der Fahrbahn, auf dem sich jetzt noch mehr Menschen vor den glänzenden Schaufenstern und den Obstständen hin- und herschoben. Aber an der Art, wie er da stand und schaute, sah man, daß er nicht unzugänglich war und nur auf ein leises Zeichen des Kumpanen wartete. In dem Augenblick allerdings gingen zwei Bersaglieri an ihm und dem Alten vorüber, wie Felsen, kräftig gebaut und mit derart gewölbter Hose,daß sie nur mühsam vorwärts kamen. Als sie die Toiletten entdeckten, traten sie auf die Treppe zu und gingen hinunter. Augenblicklich lief der Alte wieder an Tommaso vorbei und trottete, als hätte er ihn nie zuvor gesehen, hinter den zwei Soldaten her. Tommaso stand da, wie bestellt und nicht abgeholt, unsicher, mit einem Gesicht, in dem es zuckte, als würde er gleich losheulen wie ein Kind.

Kurz darauf erschienen die Bersaglieri wieder, schritten an den Auslagen eines Kiosks vorüber und entschwanden in Richtung Bahnhof. Auch der Alte klomm jetzt die Stufen empor und heftete sich ihnen an die Fersen. Mit einem Ruck der Schulter stieß sich Tommaso von seinem Baum ab und murmelte zähneknirschend: »Soll der Teufel das Schwein holen!«  - Pier Paolo Pasoloni, Vita Violenta. München u. Zürich 1983 (zuerst 1959)

Geschäftsanbahnung (2)

- Rudolf Bauer

 

Geschäft

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme