Familiengeschäfte    Masino Sinagra, der erstgeborene sechzig)ährige Sohn von Don Balduccio, war endlich verhaftet worden und mit einer solchen Last an Anklagen hinter Schloss und Riegel gekommen, dass der Gesetzgeber, auch wenn Rom während des Ermittlungsverfahrens die lebenslängliche Gefängnisstrafe zufällig abgeschafft hätte, für ihn eine Ausnahme hätte machen und sie nur für diesen Fall hätte wieder einführen müssen. Japichinu, der Sohn von Masino und innigst geliebter Enkel seines Großvaters Don Balduccio, ein junger Mann um die dreißig und von der Natur mit einem so sympathischen und ehrlichen Gesicht ausgestattet, dass ihm jeder Rentner seine Ersparnisse anvertrauen würde, war, verfolgt von einem Haufen Haftbefehlen, gezwungenermaßen untergetaucht. Entnervt und beunruhigt wegen dieser noch nie da gewesenen Offensive der Justiz nach Jahrzehnten apathischer Ruhe, war Don Balduccio, der sich bei der Nachricht von der Ermordung der beiden mutigsten Staatsanwälte der Insel um dreißig Jahre jünger gefühlt hatte, unversehens wieder in seine Altersgebrechen zurückgefallen, als ihm zu Ohren kam, dass die Leitung der Staatsanwaltschaft einer übernommen hatte, wie es keinen Schlimmeren geben konnte: Piemontese und im Ruch des Kommunismus. Eines Tages hatte Don Balduccio in den Nachrichten gesehen, wie dieser Staatsanwalt in der Kirche kniete. »Was macht der denn, geht der in die Messe?«, hatte er verblüfft gefragt.

»Ja ja, der ist gläubig«, hatte ihm jemand erklärt. »Ma comu? Wie bitte? Da hätten die Pfaffen doch was Ordentliches aus ihm machen können!« Der jüngere Sohn von Don Balduccio, 'Ngilino, war verrückt geworden und redete eine unverständliche Sprache, von der er behauptete, es sei Arabisch. Als Araber kleidete er sich seither auch und wurde in der Stadt »der Scheich« genannt. Die beiden Söhne des Scheichs hielten sich mehr im Ausland als in Vigäta auf: Pino, genannt »der Klavierstimmer« wegen seines diplomatischen Geschicks, das er in schwierigen Augenblicken an den Tag zu legen wusste, war ständig zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten unterwegs; Caluzzo hielt sich acht Monate im Jahr in Bogota auf. Die Führung der Familiengeschäfte lastete daher wieder auf den Schultern des Patriarchen, der sich dabei von seinem Cousin Saro Magistro helfen ließ. Von ihm munkelte man, er habe, nachdem er einen Cuffaro ermordet hatte, dessen Leber am Spieß gegessen. Überhaupt konnte man nicht gerade sagen, den Cuffaros ginge es besser. Eines Sonntagmorgens zwei Jahre zuvor hatte sich das über achtzigjährige Familienoberhaupt der Cuffaros, Don Sisino, ins Auto gesetzt, um die heilige Messe zu besuchen, wie er es stets und gottesfürchtig zu tun pflegte. Am Steuer saß Birtino, sein jüngster Sohn. Als dieser den Motor anließ, hatte es einen fürchterlichen Knall gegeben, bei dem noch die Fensterscheiben in fünf Kilometer Entfernung zu Bruch gingen. Der Buchhalter Arturo Spam-pinato, der mit der Angelegenheit rein gar nichts zu tun hatte, war im Glauben, ein schreckliches Erdbeben sei ausgebrochen, aus dem sechsten Stock gesprungen und zerschmettert. Von Don Sisino hatte man den linken Arm und den rechten Fuß gefunden, von Birtino nur ein paar verkohlte Knochen.

Die Cuffaros hatten sich nicht über die Sinagras aufgeregt, wie die ganze Stadt erwartet hatte. Die Cuffaros wussten genauso gut wie die Sinagras, dass Dritte diese tödliche Bombe in den Wagen getan hatten, Mitglieder einer neuerdings auftretenden Mafia, karrieregeile üble Burschen, ohne Respekt und zu allem bereit, die es sich in den Kopf gesetzt hatten, die beiden alteingesessenen Familien aufs Kreuz zu legen und ihre Stelle einzunehmen.   - Andrea Camilleri, Das Spiel des Patriarchen. Köln 2012

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