Exorzistin   Neben anderen hervorragenden Tugendwerken hatte die heilige Jungfrau vom Herrn auch die Gnade erhalten, die Dämonen aus besessenen Körpern auszutreiben. So schreibt die verehrungswürdige Mutter über eine noch jugendliche adelige Frau: »Nachdem mich ein Gesicht über die Schrift und Worte des Johannesevangeliums belehrt hatte, fiel ich mit solcher Wucht auf das Krankenlager, daß ich mich auf keine Weise davon erheben konnte. Ein Südwind hatte mir dies Leiden angehaucht; mein Körper wurde von solchen Schmerzen zermürbt, daß er meine Seele kaum mehr ertragen konnte. Nach einem halben Jahre durchdrang der gleiche Wind meinen Körper in einer Weise, daß ich mich so in Todesnot befand, als müßte meine Seele aus diesem Leben scheiden. Dann mischte sich ein anderes Windwehen von Wassern in diese Hitze, so daß mein Fleisch so weit erfrischt wurde, daß es nicht gänzlich von den Flammen verzehrt wurde. Ein ganzes Jahr lag ich also darnieder, doch sah ich in einer wahren Schau, daß mein Leben seinen Zeitenlauf noch nicht vollendet hatte, sondern noch etwas dauern sollte. Inzwischen wurde mir geoffenbart, daß am Nieder-rheine, weit weg von uns, eine vornehme Frau vom Teufel besessen worden sei. Es kamen auch oft Boten in dieser Sache zu mir. Ich sah aber in einem wahren Gesichte, daß diese Frau durch Gottes Zulassung von einer Schwärze und einem vom Teufel zusammengeballten Rauche besessen und umschattet war. Jegliches Empfinden ihrer vernünftigen Seele wurde dadurch unterdrückt, sie konnte nicht einmal in klarer Erkenntnis aufseufzen; denn wie der Schatten eines Menschen oder eines anderen Gegenstandes oder auch der Rauch Dinge, die er bedeckt, einhüllt und umzieht, so wurden ihr klarer Sinn und ihre Handlungen zerstört, und sie schrie und tat oft Unpassendes. Wurde aber dies Übel auf Gottes Befehl abgeschwächt, dann wurde sie weniger belästigt.

Wie ich so überlegte und wissen wollte, auf welche Weise die Gestalt des Teufels in einen Menschen eindringen könne, sah und hörte ich, daß der Teufel, so wie er ist, nicht in den Menschen fährt, sondern ihn mit dem Schatten und Rauche seiner Schwärze umhüllt und bedeckt. Würde nämlich die Teufelsgestalt selbst in den Menschen eindringen, dann würden seine Glieder schneller gelöst, als Halme vom Wind zerstreut werden. Deshalb gestattet Gott nicht, daß der Teufel selbst in den Menschen fährt. Doch mit den obengenannten Dingen übergießt er ihn und verdreht ihn zu Wahnsinn und Ungehörigem. Er schreit durch ihn wie durch ein Fenster und bewegt seine Glieder von außen her, wenn er auch nicht in seiner eigentlichen Gestalt im Menschen ist. Die Seele ist aber wie in tiefem Schlummer befangen und weiß nicht, was das Fleisch des Körpers tut.

Dann sah ich eine Schar böser Geister, welche die vorher beschriebene verworfene Kunst ausüben, die ganze Welt durchziehen, um Menschen zu finden, durch die sie Spaltung und Entzweiung unter den Menschen hervorrufen könnten ...

Nachdem aber die Frau, von der wir gesprochen, an zahllose Orte zu den Reliquien der Heiligen geführt worden war, schrie der Teufel, der sie besessen hielt, durch die Verdienste der Heiligen und die frommen Gebete des Volkes überwunden, in den Gebieten weiter oben am Rheine säße eine alte Frau, durch deren Rat er ausgetrieben werden würde. Als dies ihre Freunde vernahmen, führten sie die Frau im achten Jahre ihrer mühevollen Wanderungen, so wie es der Herr wollte, zu uns.« (Es gelang nun Hildegard wirklich, die arme Frau vom Teufel zu befreien.)

Nach diesen demütigen, von jeder Anmaßung freien Eigenberichte dieses durch sie gewirkten Wunders ... fügt Hildegard sogleich die Erzählung von der Schwächung, die ihren ganzen Körper heimsuchte, an. »Hierauf, das heißt nach der Befreiung jener Frau, befiel mich wiederum eine schwere Krankheit. Meine Adern mit dem Blute, meine Knochen und deren Mark welkten dahin; meine Eingeweide in mir wurden zerdehnt, und mein ganzer Körper wurde so schwach wie das Gras, das im Winter sein Grün verliert. Und dann sah ich, daß die bösen Geister darüber spotteten und hohnlachend riefen: »Ha! sie wird sterben, und ihre Freunde, mit denen sie uns beschämte, werden weinen.< Ich aber sah nicht, daß das Hinscheiden meiner Seele bevorstünde. An dieser Krankheit litt ich mehr denn vierzig Tage und Nächte.

Inzwischen sah ich einem wahren Gesichte, daß ich mehrere Vereinigungen geistiger Menschen, Männer und Frauen, besuchen und ihnen die Worte, die mir Gott offenbarte, kundtun sollte. Als ich dies endlich versuchte, mir aber hierzu die Körperkräfte fehlten, wurde meine Krankheit etwas gemindert. So konnte ich Gottes Befehl ausführen und die Zwistigkeiten, die einige unter sich hatten, beseitigen. Da ich diese Wege, die mir Gott vorschrieb, aus Furcht vor dem Volke nicht gehen wollte, wurden die Schmerzen meines Körpers vermehrt und wichen nicht, bis ich gehorchte. Es ging mir wie Jonas, der schwer heimgesucht wurde, bis er zum Gehorsam zurückkehrte.«   - Die Mönche Gottfried und Theodorich über Hildegard von Bingen, nach (bin)

 

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