rneuerungsbewegung
Nikodemus Molch, Denker des anbrechenden zwanzigsten Jahrhunderts,
mosesbärtiger Europäer ungewissen Herkommens und ungewisser Nationalität (nach
den einen der legitime Sohn Alexanders des Dritten mit einer australischen Sängerin,
nach den anderen eigentlich der wegen Unzucht mit Kindern vorbestrafte Sekundarlehrer
Jakob Hager aus Burgdorf), betrieb eine von reichen Witwen und schöngeistigen
Obersten finanzierte freie Akademie, korrespondierte
mit dem alten Tolstoi, dem mittleren Rabindranath Tagore
und dem jungen Klages, plante eine kosmische Erneuerungsbewegung, proklamierte
eine vegetarische Weltregierung, deren Erlaß
leider niemand befolgte (der Erste Weltkrieg, Hitler - obgleich Vegetarier -,
der Zweite Weltkrieg, überhaupt das ganze nachfolgende Schlamassel wäre vermieden
worden!), gab Zeitschriften heraus, teils okkultischen, teils edelpornographischen
Inhalts, schrieb Mysterienspiele, trat später zum Buddhismus über, um noch später,
schon steckbrieflich gesucht, in unzählige Bankrotte und Vaterschaftsklagen
verwickelt, als Sekretär des Dalai-Lama zu enden, angeblich, denn einige unserer
Mitbürger, Mitglieder einer Filmequipe, wollten ihn in den dreißiger Jahren
in Schanghai in einem Barpianisten wiedererkannt haben. - Friedrich Dürrenmatt, Justiz. Zürich 1987
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