Augengrund   «Weinst du? Ich frage dich, König des Schnees und des Nebels. Ich sehe keine Tränen auf deinem Antlitz, schön wie die Kaktusblüte, und deine Augenlider sind trocken wie das Bett des Sturzbaches; aber auf dem Grunde deiner Augen erkenne ich einen Tiegel voll Blut, in dem deine Unschuld, von einem Riesenskorpion in den Hals gebissen, brodelt. Ein heftiger Wind blast in das Feuer hinein, das den Kessel heizt und jagt seine düsteren Flammen über deine heilige Augenhöhle hinaus. Ich habe meine Haare deiner rosigen Stirn genähert und spürte einen Brandgeruch, denn sie fingen Feuer. Schließe die Augen; denn sonst wird dein Antlitz, verkohlt wie die Lava des Vulkans, als Asche mir in die hohle Hand fallen.» Und er wandte sich mir zu ohne der Zügel zu achten, die er in der Hand hielt und betrachtete mich mit zärtlichem Blick, während er langsam seine Lilien-Augenlider hob und senkte wie Ebbe und Flut des Meeres. Er wollte gern auf meine kühne Frage antworten und tat es in folgender Weise: «Achte meiner nicht. Den Flußnebeln gleich, die an den Hängen der Hügel hinaufkriechen und sich, sobald sie den Gipfel erreichen, als Wolkengebilde in die Lüfte schwingen; so haben deine Sorgen um mich sich unmerklich, ohne triftigen Grund verschlimmert und schweben über deiner Einbildungskraft als täuschendes Gebilde einer untröstlichen Fata Morgana. Sei sicher, daß kein Feuer in meinen Augen brennt, obwohl mir nicht anders zumute ist, als wäre mein Schädel in einen Helm glühender Kohlen gezwängt. Wie soll denn das Fleisch meiner Unschuld in dem Tiegel brodeln, da ich nur sehr schwache und verworrene Schreie höre, die für mich nur das Seufzen des Windes sind, der über unseren Häuptern hinweghraust. Es ist unmöglich, daß ein Skorpion mit seinen scharfen Scheren auf dem Grunde meines zerfetzten Augapfels Wohnung genommen hat; ich glaube vielmehr, daß es starke Zangen sind, die die optischen Nerven zerreißen. Jedoch bin ich deiner Meinung, daß ein unsichtbarer Henker meinen Adern das Blut, mit dem der Tiegel angefüllt ist, während des Schlafes der letzten Nacht entzog.»   - (mal)
 

Auge

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