Topos    Sie konnte nicht, sie wußte nicht, wie sie es ihm erklären sollte, daß allen diesen Orten etwas fehlte, eine Aura, eine Atmosphäre, eine flüchtige, quecksilbrige Eigentümlichkeit; und als sie auch im eigenen Interesse pedantisch versuchte, dieses Etwas zu definieren, schien sich dafür ein weiter Begriff geradezu anzubieten.

»Also, es fehlt ein Topos«, sagte sie nachdenklich. »Man muß einen Topos finden.« Graziano antwortete nicht.

Die ganze Welt war ein Topos, wenn man so wollte; beziehungsweise war ein Topos niemals ein präziser, fester, geographisch bestimmbarer Ort, sondern hatte eine flüchtige Qualität, dem Blütenstaub oder einem Lichtstrahl ähnlich, der bald eine kleine Bank, ein Kino, eine Bar, einen Platz belebte, dann hingegen einen Wolkenkratzer, eine Uferpromenade, eine Metropole, das Zimmer eines Motels in Dunkelheit versinken ließ. Der Topos war überall und nirgends. Er starb und erstand unablässig neu, in geringer Entfernung oder zehntausend Meilen weit weg, ein allgegenwärtiger, launiger Schiedsrichter deines Lebens. Und man mußte sich stets bereit halten, damit er einem nicht entging.   - Fruttero & Lucentini, Wie weit ist die Nacht. München 1989

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