Schwundgeld   »Die Zustände in Argentinien, wo Silvio Gsell ein Geschäft eröffnete, gaben ihm zu denken. Immer dieses Auf und Ab von Zuviel und Zuwenig, Boom und Krise, Deflation und Inflation! Er kam zu dem Schluß, daß daran der Zins schuld war, und erfand einen einfachen Weg, dem ewigen Hin und Her ein Ende zu machen. Die Lösung des Problems war das Frei- oder Schwundgeld, eine Währung, die dauernd an Wert verliert, wenn man sie hortet, statt sie schleunigst auszugeben. ›Wenn Geldmangel herrscht,‹ sagte Gsell, ‹genügt eine Druckerpresse, um es zu vermehren, und wenn zuviel davon da ist, ein Ofen, um es zu verbrennen.› Hohngelächter bei den Ökonomen aller Schulen und bei den Politikern aller Parteien. Nur ein halbverrückter Sektierer, hieß es, könne auf derart abwegige Gedanken kommen. Bis heute scheint niemand bemerkt zu haben, daß Gsell, hinter dem Rücken aller Nobelpreisträger und Zentralbankpräsidenten, den Sieg über seine Widersacher davongetragen hat.«

Einige unter den Anwesenden fanden, daß Z. mit dieser Behauptung wieder einmal zu weit gegangen war, und verlangten, daß er sie zurücknehmen sollte. »Wieso? Dafür sehe ich keinen Grund. Das Geld, das heute im Umlauf ist, kann man mit Fug und Recht als Schwundgeld bezeichnen. Ein Gegenstand, den Sie 1945 für hundert Dollar kaufen konnten, kostet heute das Dreizehnfache. Von anderen Währungen wie der Reichsmark, dem Forint, der Lira, dem türkischen Pfund und dem Peso will ich gar nicht reden. Sollten Sie für Ihr Geld deutsche Staatsanleihen erwerben, so werden Sie mit Negativzinsen bestraft. Alle Schulden lösen sich so, ganz wie der Prophet aus Sankt Vith in den Arden-nen es sich damals gewünscht hat, in Luft auf. Weil die Geldmenge ins Ungemessene zunimmt, müssen Milliarden verbrannt werden, nur daß dazu kein Ofen mehr benötigt wird. Umgekehrt, sollte es der einen oder anderen Bank an Geld fehlen, so braucht sie nur ihren Finanzierungsbedarf anzumelden, und schon sorgt die Druckerpresse für Erleichterung. Man nennt dieses Verfahren quantitative easing. Sie sehen also, ein Ende des Veitstanzes ist nicht abzusehen.«   - Hans Magnus Enzensberger, Herrn Zetts Betrachtungen oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Berlin 2014

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