eservat Leicht, allzu leicht hätte man angesichts gewisser Erscheinungen bei den Syks von Rückbildung, Verkommenheit, Niedergang und Schlimmerem sprechen können. Die Sprache war nicht mehr der oberste Kulturträger; traditionelle Ordnungsvorstellungen im menschlichen Zusammenleben, die Herrschaft der logischen Intelligenz, all dies war in die Verwehung geraten. Jedoch würde sich einer groben Fehleinschätzung schuldig machen, wer hierin nur das Entschwindende und Ruinöse erkennen wollte. In Wahrheit brachte der mentale Windwechsel eine Reihe von positiven, überlebenstüchtigen Elementen ins Spiel —nicht unbedingt neue, jedoch seit langem vernachlässigte, abgedrängte Befähigungen des Menschen gewannen wieder an Geltung. So war im wesentlichen ihre Intelligenz (und auch ihre Wirtschaftlichkeit) auf den einfallsreichen Umgang mit verbliebenen, vorgefundenen Dingen abgestimmt und nicht auf die Entwicklung immer neuer, immer >besserer< Produkte und Leistungen. Hier galt Kombination mehr als Innovation. Traum, Spiel, Sammeln, ganzheitliche Vorstellung hatten sich gegen die eiserne Vorherrschaft von abstrakter Logik, Plan, Fortschritt und Traditionszwang erhoben und sie bedeutend eingeschränkt.
Jene uns das ganze Leben über belauernde, immer draußen gehaltene Infantilität, der Quell nimmermüder Verwandlungen, das Modell der Fabeln und des Märchens, war an die Stelle des seriösen Bewußtseins gerückt, das bis dahin als das einzig erwachsene gegolten hatte.
So nisteten sie also, vorsichtig angepaßt, in ihrem abgeschiedenen Wald-Hort,
eine kleine, verständigte, friedliebende Gemeinschaft - und hatten doch alle
Hände voll damit zu tun, sich ihre maßlosen Freiheiten einzuschränken, um nicht
in das schwarze Loch der totalen Gesell-schaftslosigkeit zu stürzen. Denn hierin
ahnten sie wohl selbst ihre ärgste Gefahr: der hohe Grad an Beliebigkeit, der
sämtliche erspielten Pflichten und Bindungen auszeichnete und sie von jeglicher
Notwendigkeit fernhielt, konnte jeden Augenblick zu sozialer Selbstentleerung
und Implosion führen. Ohne nach irgendeiner Seite hin Widerstand leisten
zu müssen, sei es gegen ein Staatswesen oder gegen die rauhe Natur, konnten
sie sich plötzlich in ihrem Freiraum wie im allerengsten Freiraumkäfig eingesperrt
finden und an ihrer allein durch Wunsch und Gelüst geregelten Ordnung zugrunde
gehen. Auch der friedliebendste Mensch wird dies ja nicht auf Dauer bleiben,
wenn ihm gar kein weiteres Ziel vorschwebt, als nur sein friedliebendes Verhalten
beständig zu pflegen. Er muß schon etwas darüber hinaus wollen, etwas
mehr als den nackten Frieden, sonst bekommt er auch den nicht. Ohne tätigen
Entwurf, ohne eine übergeordnete Notwendigkeit kann er nämlich nicht einmal
auf seinem Fleck stehenbleiben, er versinkt auf der Stelle im Schlamm seiner
Ausscheidungen. - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984
|
||
|
|
|