äubernamen, italienische Die Decknamen der Camorra entstehen aus reinem Zufall. Paolo Di Lauro wurde vom Boss Luigi Giuliano »Ciruzzo 'o millionario« getauft, weil er eines Abends sah, wie Di Lauro zum Pokern kam und aus seiner Tasche Dutzende von Hundertausend-Lire-Scheine fallen ließ. Da rief Giuliano aus: »Kommt da etwa Schnuckelbär, der Millionär?« Ein Name, wie man ihn in leicht angetrunkenem Zustand erfindet, aus dem Moment heraus, absolut treffend.
Die Auswahl an Beinamen ist unendlich. Carmine Alfieri, der Boss der Nuova
Famiglia, hieß »'o 'ntufato«, der Wütende, weil sein Gesichtsausdruck
immer Unzufriedenheit oder Wut signalisierte. Dann gibt es Spitznamen, die schon
die Vorfahren der Familie trugen und die sich weitervererben, wie bei dem Boss
Mario Fabbrocino, der mit dem Kapital der neapolitanischen Camorra Argentinien
kolonisiert hat. Er hieß »'o graunar«, der Kohlenhändler, weil seine
Vorfahren diesem Gewerbe nachgegangen waren. Manche Spottnamen beziehen sich
auf Vorlieben einzelner Camorristen wie bei Nicola Luongo, der »'o wrangler«
hieß, weil er nur den gleichnamigen Geländewagen fuhr, der zur Lieblingsautomarke
des ganzen Systems wurde. Andere Namen sind auf bestimmte körperliche Merkmale
zurückzuführen, so Giovanni Birra, genannt »'o mazza« (die Stange),
weil er groß und schlank war, Constantino Iacomino ist bekannt als »capabianca«
(weißes Haupt), weil er schon früh graue Haare hatte, Giro Mazzarella »'o
scellone« (die große Schulter) wegen seiner vorstehenden Schulterblätter,
Nicola Pianese »'o mussuto« (Klippfisch) wegen seiner auffallend hellen
Haut, Rosario Privato »mignolino« (Kleiner Finger) und Dario De Simone
»'o nano« (der Zwerg). Dann gibt es unerklärliche Namen wie den von Antonio
Di Fraia, genannt »'o urpacchiello«, ein neapolitanisches Wort für eine
Reitpeitsche aus getrocknetem Eselspenis. Carmine Di Girolamo wird »'o sbirro«
(der Bulle) genannt, weil er Polizisten und Carabinieri für sich arbeiten läßt.
Ciro Meriso ist aus welchen Gründen auch immer »'o mago« (der Zauberer).
Pasquale Gallo aus Torre Annunziata hat ein hübsches Gesicht und heißt deshalb
»'o bellillo« (Schönling), die Lo Russo sind die »capitoni« (die
Aale), die Mallardo die »Carlantoni« (die Karlantons), die Belforte die
»Mazzacane«, die Piccolo die »Quaquaroni« (Schwätzer),
alles schon von der Familie ererbte Namen. Vincenzo Mazzarella galt als »'o
pazzo« (der Verrückte) und Antonio Di Biasi als »pavesino«, weil
er bei militärischen Operationen immer eine Schachtel Pavesi-Kekse dabei hatte.
Domenico Russo, Boss der neapolitanischen Quartieri Spagnoli, hatte seinen Beinamen
»Mimi dei cani« (Mimi von den Hunden) daher, daß er als kleiner Junge
an der Via Toledo Welpen verkauft hatte. Antonio Carlo D'Onofrio, »Carluccdello
d mangiavatt« (Karlchen Katzenfresser) soll bei seinen Schießübungen streunende
Katzen als Zielscheibe gewählt haben. Gennaro Di Chiara, der es nicht ertragen
konnte, im Gesicht berührt zu werden, hieß »file scupierto« (offene Stromleitung).
- Roberto Saviano,
Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra. München 2006
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