erle   Das Vorabexemplar des ersten Buches meines Mannes wollte und wollte nicht kommen, er hatte sogar zu trinken aufgehört und brüllte nachts, er werde aus dem Fenster springen, er werde sich vor einen Zug werfen, da zog ich an meinem nächsten freien Tag mein Paradekleidchen und meine roten Schuhe mit den Stöckelabsätzen an, ich nahm meinen Regenschirm und machte mich auf den Weg zum Verlag. Als ich vor dem Leiter dort stand und sagte, wer ich sei, zeigte ich mit dem Regenschirm in Richtung Libefl, zum Damm, zur Nummer vierundzwanzig und sagte ... Hören Sie gut zu, dort irgendwo liegt mein Kleinod, er säuft nicht mehr und hat nicht mal mehr die Kraft, sich unter einen Zug zu werfen, weil das Vorabexemplar seines berühmten Bändchens einfach nicht kommen will ... Gehn Sie ruhig mal hin und schauen sich an, wie Sie meinen Mann zugerichtet haben! Und ich stand da, mit geschminkten Augen, in der Grundposition einer Ballerina, mein vorgeschobenes rotes Schühchen blitzte, und ich jagte diesem Leiter tatsächlich einen Schreck ein, er griff zum Telefonhörer und wiederholte mehrmals hintereinander ...Ja... ja... ja ... dann legte er auf und sagte, das Exemplar sei bereits unterwegs ... und ich sagte, natürlich, unterwegs, doch bis es soweit ist, verendet mein Kleinod dort, ich hole es lieber selbst... wo ist denn dieses »Perlchen auf dem Grunde?« Und so geschah es, daß der Verlagsleiter höchstpersönlich zu mir sagte, ich verstehe Sie ja, ich konnte es auch kaum erwarten, bis mein erster Gedichtband erschien, ich wollte mich auch vor den Zug werfen und dachte an die letzten Dinge des Menschen ... Und er hob nochmals den Hörer ab, und nach einer Weile kam ein Angestellter und brachte mir dieses Exemplar, das der Verlag eigentlich nicht aus den Händen geben durfte. Und ich verließ das Gebäude und schritt durch die Nationalstraße, und in einer Konditorei ließ ich dieses »Perlchen auf dem Grunde« in Seidenpapier einschlagen und mit einem Bändchen umwickeln, als sei es ein Geschenk ... Dann stolzierte ich über den Wenzelsplatz, in der einen Hand den Regenschirm und in der anderen das mit dem roten Bändchen umwickelte »Perlchen auf dem Grunde«, ich schritt aus und träumte davon, wie schön es sein wird, wenn dieses Büchlein erschienen ist und mein Mann mit mir durch die Stadt spaziert und dieses »Perlchen auf dem Grunde« in den Schaufenstern der Buchläden ausliegt, was für einen Festschmaus ich bereiten werde, eine Hochzeit im Hause, der Sekt wird spritzen, als hätte mein Mann die Formel Eins gewonnen ... Und dann hatte ich eine Idee, und ich ging in die Spälenä-Gasse, zur Altstoff-Sammelstelle, wo mein Mann im Schein der Glühbirnen vier Jahre lang Altpapier gepackt hatte, ich betrat das Büro, und es war die Leiterin da, ja, sie, die meinen Mann gefeuert hatte, es war auch jener Kaderreferent anwesend, der meinen Mann einen Drückeberger geschimpft hatte, weil er ein Stipendium vom Literaturfonds des Schriftstellerverbands erhalten hatte und nur noch halbtags arbeitete ... und ich löste die rote Schleife und zeigte den blauen Einband herum und vor allem den Namen meines Mannes ... und ich sagte ... jetzt sehen Sie es mit eigenen Augen, mein Mann ist ein Schriftsteller und keineswegs das, als was ihr ihn hier beschimpft habt... Und ich packte das »Perlchen auf dem Grunde« wieder ein, wickelte das rote Bändchen darum und ging mit dem Schirmchen hinaus, auf dem Hof drehte ich mich noch einmal zum Fenster hin und hielt das Päckchen in die Höhe und sah, daß alle wie vom Blitz getroffen dasaßen, das hatten sie nämlich nicht erwartet...  - (hra4)

Perle (2)

 

Kostbarkeiten Schmuck Auster

 

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