ächstenliebe   »Komm jetzt nur mit«, sagte Ulenspiegel, öffnete die Tür und stieß Lamme vor sich hinein. »Schau, die Wirtin sitzt hinter ihren Fässern zwischen zwei Kerzen. Der Saal ist groß, mit einer rauchgeschwärzten Eichendecke, mit verräucherten Balken. Ringsum stehn Bänke und Tische mit Hinkefüßen, bedeckt mit Gläsern, Kannen, Bechern, Humpen, Krügen, Flaschen, Butteln und andern Trinkgeschirren. In der Mitte stehn noch mehr Tische und Stühle, auf denen liegen Heuques, das sind Frauenmäntel, vergoldete Gürtel, Samtschuhe, Dudelsäcke, Pfeifen und Schalmeien. In einer Ecke führt eine Leiter ins Obergeschoß. Ein kleiner kahlköpfiger Buckliger spielt auf einem Klavizimbel, das auf Glasfüßen steht, die den Ton des Instruments recht schrill machen. Tanze, mein Dickwanst! Fünfzehn Dirnen sitzen teils auf den Tischen, teils auf den Stühlen, ein Bein hier und ein Bein dort, gebeugt, aufrecht, die Ellbogen auf dem Tisch, rücklings liegend oder auf der Seite, je nach ihrer Laune, in weißen, roten Kleidern, mit nackten Armen und Schultern und entblößter Brust bis zur Leibesmitte. Alle Arten sind vorhanden; wähle! Den einen läßt das Kerzenlicht, das ihre blonden Haare streichelt, die blauen Augen im Schatten, und man sieht nur ihr feuchtes Feuer glänzen. Andere blicken zur Decke und seufzen zur Geige ein deutsches Lied. Etliche, rundlich, braun, fett, schamlos, trinken Amboisewein aus vollen Humpen und zeigen ihre runden Arme, die bloß sind bis zu den Schultern, ihre ausgeschnittenen Kleider, aus denen die Äpfel ihrer Brüste hervorquellen, und reden ohne Scham mit vollem Mund, eine nach der andern oder alle miteinander. Hör ihnen zu!«

»Pfui über das Geld heute! Liebe brauchen wir, Liebe nach unserer Wahl«, sagten die schönen Dirnen, »Liebe von einem Kind, einem Jüngling oder von einem, der uns gefällt, ohne Geld. - Sie sollen alle her zu uns kommen, denen die Natur männliche Kraft verliehen hat, welche die wahren Männer ausmacht, sie sollen kommen um der Liebe Gottes und der unsern willen ... - Gestern war der Tag, da man bezahlen mußte, heute ist der Tag, da man liebt! - Wer will an unsern Lippen trinken? Sie sind noch feucht von der Flasche. Wein und Küsse, das ist ein Festmahl, bei dem nichts fehlt! - Pfui über die Witwen, die ganz allein schlafen! - Wir sind Dirnen! Heute ist der Tag der christlichen Nächstenliebe. Den jungen, starken und schönen Männern öffnen wir unsere Arme. Zu trinken - Schätzchen, schlägt dein Herz, die Trommel in deiner Brust, zum Liebeskampf? Was für ein Pendel! Das ist die Uhr der Küsse. Wann werden sie kommen, mit vollem Herzen und leeren Taschen? Wittern sie nicht die leckern Abenteuer? Was ist für ein Unterschied zwischen einem jungen Geusen und dem Herrn Markgrafen? Der Herr Markgraf zahlt mit Gulden und der junge Geuse mit Küssen. Es lebe der Geuse! Wer will die Friedhöfe aufwecken gehn?« So sprachen die guten, hitzigen, fröhlichen unter den Mädchen verliebten Wandels.

Aber es gab auch andere mit schmalen Gesichtern, mit magern Schultern, die aus ihrem Leib eine Verdienstbude machten und Heller um Heller den Preis ihres magern Fleisches zusammenkratzten. Und die schimpften zueinander:

»Es ist schön dumm von uns, auf Lohn zu verzichten in unserm ermüdenden Gewerbe bloß um der überspannten Launen willen, die diesen mannstollen Dirnen durch den Kopf gehn. Wenn sie ein Mondviertel im Kopf haben, so haben wir's mitnichten und ziehen es vor, in unsern alten Tagen nicht wie sie unsere Lumpen durch die Gosse zu schleifen, und wir lassen uns bezahlen, da wir doch zu verkaufen sind. Pfui über das 'Umsonst'! Die Männer sind häßlich, stinkend, brummig, fressen und saufen gern! Sie allein sind schuld, wenn die armen Frauen ein böses Ende nehmen!« - Charles de Coster, Ulenspiegel. Darmstadt 1968 (zuerst 1868)

 

Liebe

 

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