Marktwert   Gestorben: Friedrich Schröder-Sonnenstern, 89. Im Berlin der zwanziger Jahre war er als Heiratsschwindler, Wahrsager, Wanderprediger und - weil er Brötchen an hungernde Kinder verteilte - auch als "Schrippenfürst von Schöneberg" bekannt. "Friedrich der Einzige", Sohn eines versoffenen ostpreußischen Briefträgers, pendelte ein Leben lang zwischen Wahn und Wirklichkeit. Er verbrachte Jahre in Irrenhäusern, pries sich als "der klügste Mann im Himmel und auf Erden". Mit knapp 60 erst begann er, auf Geheiß seiner Lebensgefährtin "Tante Martha", mit Buntstiften zu malen und zu zeichnen - bizarre Fabelwesen aus Mensch und Tier, groteske Allegorien voll greller Sexualsymbolik, schwellender Brüste, stilisierter Phallen. Die Kunstkritik stellte ihn rühmend den Surrealisten zur Seite, Psychiater attestierten seinem Werk deutlich "schizophrene Merkmale". Doch der Marktwert des "Sonnenkönigs", den Dürrenmatt und Henry Miller verehrten, verfiel, als er - für Schnaps - plumpe Fälschungen signierte, eigene Werke zusammenpfuschte. Die Berliner verhöhnten schließlich den "Arschmaler Sonnenstich". - Der Spiegel, 17.05.1982

Marktwert  (2)  »Ihre Seele! Sagen Sie mir doch ehrlich — was bringt die heute noch ein? Sagen Sie mir - was soll ich mit Ihrer Seele anfangen ?« Und er deutet mit dem Zeigefinger nach der Wand neben uns.

An dieser Wand hängt ein großer Spiegel, die Reklame einer Benzinfirma. Und in dem Spiegel ist meine Gestalt, mein abgekämpftes Gesicht, sind meine eisengrauen Haare, sind meine verlebten Jahre, die vielen Jahre, ist die ganze lange Straße, auf der ich einst auszog, die Brust geschwellt, selbstsicher und überzeugt, ich würde ganz allein mit allem und jedem fertig werden.

»Sagen Sie selbst«, wiederholt der widerwärtige Alte. »Sagen Sie mir: Was soll ich mit Ihrer Seele anfangen? Der Graf Balza, der, ja, an dem haben wir unsere helle Freude gehabt! Aber der war auch achtzehn Jahre alt, der Graf Balza! Achtzehnjahre! Sie verstehen, lieber Herr?«

Ich hingegen bin achtundfünfzig. Und in den Jahren, die mir noch verbleiben, könnte ich recht wenig für den Bösen Feind tun, der mir hier in dem blauen Overall Onofrios gegenübersteht. Welche Laster, welche Ausschweifungen, welche Schurkereien, welche Heimtücken, welche Gotteslästerungen, welche Verbrechen kann ich ihm mit gutem Gewissen offerieren, ich, der ich immer rechtschaffen gelebt habe, der ich nun bereits erstarrt bin in den platten Gewohnheiten eines ehrlichen Daseins? Wo die Kraft hernehmen, mich noch an die Tafel der Sünde zu setzen ? Dazu wäre Jugend nötig, die gierige Begeisterung des Zwanzigjährigen, die Leidenschaft, es den anderen zuvorzutun, das harte Herz, die wilde Stoßkraft; wenn ich das alles hätte, ja, dann könnte ich dem Teufel dienen. Aber jetzt — was soll ich jetzt, ich Jammergestalt?

»Leben Sie wohl, Herr«, sagt Onofrio, als ich mich zum Gehen wende. Täusche ich mich, oder schwingt in seiner Stimme wirklich etwas wie Mitleid?

Ich entferne mich, gedemütigt und besiegt. Sogar der Teufel hat mir die Tür vor der Nase zugeschlagen.  - Dino Buzzati, Die Maschine des Aldo Christofari. Frankfurt am Main 1985

 

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