ulturmilieu
Er lernte sehr rasch, sich in angemessener Weise zu verhalten.
Man musste nicht unbedingt brillant sein, meistens war es sogar besser, gar
nichts zu sagen, aber es war unerlässlich, seinem Gesprächspartner zuzuhören,
ihm voller Ernst und Mitgefühl zuzuhören und manchmal die Unterhaltung durch
ein »Wirklich?« wieder in Gang zu bringen, das den Zweck verfolgte, Interesse
oder Überraschung zu zeigen, oder durch ein »Absolut«, in dem eine verständnisvolle
Zustimmung zum Ausdruck kam. Jeds geringe Körpergröße erleichterte es ihm zudem,
eine Unterwerfungshaltung einzunehmen, die im Allgemeinen von Kulturreferenten
sehr geschätzt wurde - wie auch von so ziemlich allen anderen. Es war im Grunde
ein leicht zugängliches Milieu, wie es vermutlich alle Milieus sind, und Jeds
neutrale Höflichkeit sowie die Tatsache, dass er nicht über sein eigenes Schaffen
sprach, wirkten sich positiv aus und trugen viel dazu bei, dass er den im Übrigen
durchaus berechtigten Eindruck hervorrief, ein seriöser Künstler zu sein, ein
Künstler, der wirklich arbeitete. In gewisser Weise nahm Jed, ohne es
zu wissen, die groovy Attitüde ein, die seinerzeit Andy Warhol zum Erfolg
verhelfen hatte, auch wenn er dieser Haltung eine ernsthafte Note unterlegte
- welche augenblicklich als betroffener, ja umweltbewusster Ernst interpretiert
wurde -, die fünfzig Jahre nach Warhol unerlässlich war. An einem Novemberabend
wurde er anlässlich irgendeines Literaturpreises sogar dem berühmten Frédéric
Beigbeder vorgestellt, der zu jener Zeit von allen Medien als Star gefeiert
wurde. Der Schriftsteller und Werbefachmann warf Jed, nachdem er Olga lange
einen Kuss auf beide Wangen gedrückt hatte (allerdings derart ostentativ und
theatralisch, dass die spielerische Absicht überdeutlich zutage trat), einen
neugierigen Blick zu, ehe er von einer prominenten Pornoschauspielerin in Beschlag
genommen wurde, die gerade ein Buch über ihre Gespräche mit einem tibetischen
Mönch veröffentlicht hatte. - Michel Houellebecq, Karte und Gebiet. Köln 2011
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