Gewisses Etwas (lesbisches) Während die Minuten vergingen, wurde sich Lord Peter ungemütlich bewußt, daß sie ihn genau beobachtete. Ihre Worte kamen hastig, doch ohne Leben heraus, wie eingelernt, aber ihre Augen waren die Augen eines Menschen, der etwas erwartet. Etwas Beängstigendes, entschied er bei sich, aber etwas, zu dem sie entschlossen war. Es erinnerte ihn an einen Menschen, der zu einer Operation entschlossen, darauf vorbereitet ist — weiß, daß sie ihm nützen wird — und dennoch davor zurückschreckt.

Er hielt die nichtige Konversation seinerseits aufrecht, während seine Gedanken lebhaft arbeiteten, die Situation analysierten, sich ein Bild machten . . .

Auf einmal begriff er, daß sie sich bemühte — auf plumpe, ungeschickte Art und halb gegen ihren Willen —, ihn zu einer Liebesszene zu verleiten.

Die Tatsache selbst fiel Wimsey nicht weiter als sonderbar auf. Er war reich, ein Mann von Welt und anziehend genug, um in den siebenunddreißig Jahren seines Lebens solche Aufforderungen ziemlich oft erhalten zu haben. Und nicht immer nur von erfahrenen Frauen, es hatte auch solche gegeben, die Erfahrungen suchten. Aber eine so ungeschickte Annäherung einer Frau, die selbst zugab, einen Gatten und einen Geliebten zu besitzen, war ihm noch nie vorgekommen. Übrigens wurde ihm die Sache lästig, Frau Forrest war zwar schön, aber sie besaß nicht die geringste Anziehungskraft für ihn. Obwohl sie so geschminkt und auffallend gekleidet war, machte sie auf ihn einen altjüngferlichen, um nicht zu sagen geschlechtslosen Eindruck. Das war es, das ihm schon bei der ersten Unterredung aufgefallen war. Parker — ein junger Mann von tugendhaftester Lebensführung und wenig Weltkenntnis — war für solche Ausstrahlungen nicht empfänglich. Wimsey jedoch hatte sie schon damals als geschlechtslos empfunden. Jetzt empfand er das sogar noch stärker. Noch nie war ihm eine Frau begegnet, bei der das gewisse Etwas so gänzlich fehlte. Jetzt lehnte sie sich mit der entblößten Schulter an ihn, auf dem schwarzen Tuch weiße Puderspuren zurücklassend. Erpressung war die erste Erklärung, die ihm einfiel. Als nächstes würde plötzlich im Türrahmen der sagenhafte Herr Forrest erscheinen (oder jemand, der ihn vorstellte), in tugendhafter Entrüstung und gerechtem Zorn glühend, und — «Nette kleine Falle«, dachte Wimsey und fügte laut hinzu: »Nun muß ich aber wirklich gehen.« Sie haschte nach seinem Arm. »Gehen Sie noch nicht!«

Es lag keine Zärtlichkeit in der Berührung — nur eine Art von Verzweiflung.

Er dachte: »Wenn sie das gewohnheitsmäßig betriebe, würde sie es besser machen.«

»Nein wirklich«, sagte er, »ich sollte nicht länger bleiben, es wäre zu gefährlich für Sie.« »Ich riskiere es«, sagte sie.

Eine leidenschaftliche Frau hätte es leidenschaftlich gesagt. Oder mit tapferer Heiterkeit. Oder herausfordernd. Oder verführerisch. Oder geheimnisvoll. Sie aber sagte es grimmig. Ihre Finger bohrten sich in seinen Arm.

»Nun, hol's der Teufel, auch ich riskiere es!« dachte Wimsey. »Ich muß und will wissen, worum es hier geht.«

»Arme kleine Frau.« Er sprach im schmeichelnden Ton des Mannes, der im Begriff ist, eine verliebte Torheit zu begehen. Und während er den Arm um sie legte, spürte er, wie ihr Körper sich straffte; doch sie seufzte erleichtert auf. Er zog sie plötzlich heftig an sich und küßte sie mit geübter leidenschaftlicher Übertriebenheit auf den Mund. Dann wußte er. Niemand, dem es je begegnet, kann es verkennen: dieses erschauernde Zurückweichen, diese unbeherrschbare Empörung des Fleisches gegen eine ihm ekelhafte Liebkosung. Er dachte einen Augenblick, es würde ihr tatsächlich schlecht werden.

Er ließ sie sanft los und stand auf — sein Kopf wirbelte, aber er triumphierte. Sein erster Instinkt war doch der richtige gewesen.

»Das war sehr schlimm von mir«, sagte er leichthin, »Sie haben mich um die Besinnung gebracht. Aber Sie verzeihen mir, nicht Wahr?«

Sie nickte, noch bebend. - Dorothy Sayers, Eines natürlichen Todes. Bern München 1977

Gewisses Etwas (2, ungewisses)

Etwas

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