ewissenserforschung
Inzwischen hat gestern das halbe Jahrhundert geschlagen.
Eine Gewissenserforschung? Das fehlte gerade noch. Nichtsdestoweniger war das
der Tag, an dem ich mich, ginge es nach den Programmen meiner Jugend, an den
Tengri Nor oder sonstwohin hätte zurückziehen und mich dem Studium des Pali
und der heiligen Texte widmen sollen, um dann in Erleuchtung und Würde zu sterben:
von zwanzig bis dreißig Studium einer bestimmten Gruppe von Sprachen und Disziplinen,
von dreißig bis vierzig Studium anderer Sprachen und anderer Disziplinen, von
vierzig bis fünfzig . . . und so weiter bis zu jener höchsten Krönung eines
gut genutzten Lebens, einer immer höheren und verfeinerten geistigen Tätigkeit
- und (man muß es endlich sagen) immer so weiter geplappert. - Gibt es da vielleicht
etwas zu erläutern, außer daß meine hochgestochenen Absichten in jeder Hinsicht
falsch waren? Habe ich wirklich je an das geistige Leben geglaubt, außer vielleicht
aus Trotz oder Stolz? Im Innersten und vage schien und scheint mir die Bestimmung
des Menschen nicht notwendigerweise geistig zu sein, sondern frei und sinnlich,
und der Geist sollte (ich wiederhole mich) nur einen melancholischen Notbehelf
und seine Aktivität nur eine Ersatzhandlung darstellen; daher müßte man auf
diejenigen, die tatsächlich vom Geist leben, den Satz anwenden, daß nur die
Spitzbuben lange leben. Habe ich je meine Arbeit geliebt? Nein, um Gottes willen:
Ich habe das Vergnügen und die Ehre, sagen zu dürfen, daß sie mich immer angewidert
hat. (Ich verleumde mich und verleumde mich immer wieder: Tatsächlich bin ich
nur bereit, die Hälfte des Gesagten zu unterschreiben, denn bei dieser Partie
kann man das eine wie das andere behaupten. Nochmals, wäre also die Welt aus
zwei Hälften gemacht? Wiederum nein, sie ist ein Ganzes, und vielleicht kommt
alles Übel daher, daß der Geist selten er selbst ist, sondern in den meisten
Fällen . . . Kultur. Denn er ist in erster Linie Fleisch, und wenn er sich von
diesem trennt, bleibt ihm nichts, als dahinzusiechen und sich unsäglich zu langweilen.)
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(land3)
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